Eine interessante Frage, die auch anders formuliert werden kann: Wird die Evolution zum Stillstand kommen, nur weil der Mensch seit 150 Jahren darüber nachdenkt?
Diese 150 Jahre, - eine wesentliche Etappe in der Evolution des
menschlichen Geistes - zeigen den folgenden für die Evolution typischen
Verlauf:
Die griechische Philosophie in vorchristlicher Zeit war den Dingen
bereits auf der Spur. Das spätere Verbot dieser Philosophie
bzw. des Denkens durch die Kirche führte nahezu zum Stillstand
der Wissenschaften über eineinhalb Jahrtausende. Das ist in der Evolution
kein Drama, denn die Dinosaurier haben über 70 millionen Jahre die
Weiterentwicklung der Säugetiere blockiert. Die Evolution muss warten,
bis eine dominante Erscheinungsform scheitert. Denn die Natur ist nicht
intelligent. Sie muss notfalls auf den nächsten Zufall warten. Sobald
die nächste Erscheinungsform eine gewisse kritische Masse erreicht
hat, der sogenannte Evolutionsdruck groß genug ist (d.h. eine
neue Lösung gebraucht wird oder eine Nische freigeworden ist)
kann der nächste Schritt (aber immer nur der nächste Schritt!)
mit
vergleichsweise explosionsartiger Geschwindigkeit und auf breiter Front
erfolgen. Ist die nächste Erscheinungsform erreicht, stirbt die nicht
mehr gebrauchte Erscheinungsform aus, sofern sie nicht durch andere Einwirkungen
bereits verschwunden ist. Es muss zwischen der Weiterentwicklung einer
Art und der Verdrängung durch eine andere Art unterschieden werden.
Eine sich weiterentwickelnde Form verschwindet, ohne auszusterben. Sich
parallel entwickelnde Linien können, wie das Beispiel des Neandertalers
zeigt, lange Zeit nebeneinander bestehen. Die Beobachtung der biologischen
Evolution zeigt, dass in diesen Fällen die Entwicklung der weniger
geeigneten Erscheinungsform zum Stillstand kommt.
Es bereitet uns zuweilen Schwierigkeiten, wesentliche
Evolutionsschritte auf einen einfachen Mechanismus zurückzuführen.
Das liegt vor allem daran, dass wir die biologische Evolution wegen der
großen Zeiträume nicht beobachten können und dass wir den
Selektionsmechanismus der biol. Evolution durch Technik, Gesundheitswesen
und Sozialsysteme außer Kraft gesetzt haben. Unsere Vorfahren hatten
einen kürzeren Generationsabstand, eine höhere Reproduktionsrate
und verfügten nicht über die vorgenannten Mittel. Die Selektion
war ein äußerst wirksames Verfahren insbesondere in Verbindung
mit veränderten Umweltbedingungen (z. B. durch klimatische und
geologische Veränderungen) und den dadurch ausgelösten Migrationsbewegungen.
Weiter verschärfend bzw. die genetische Veränderung beschleunigend
wirkte die Inzucht in der isolierten (Jagd-) Gruppe, die sowohl
taugliche als auch untaugliche genetische Merkmale sehr viel schneller
wirksam werden läßt. Unter bestimmten Einflüssen wird die
Evolution durch mehrere gleichzeitig wirkende Faktoren zur Veränderung
getrieben.
Zurück zu den 150 Jahren: Die von Darwin veröffentlichen
Erkenntnisse wurden schon einige Jahrzehnte vorher vermutet. Der Kampf
zwischen biblischer Auffassung und der neuen Lehre dauerte 50 Jahre, bis
zu einem Durchbruch der neuen Auffassung. (Die Kollegen kämpften
vor allem deshalb so hartnäckig und mit allen Mitteln, weil sie von
den Tantiemen ihrer Bücher auch weiterhin leben wollten.) Für
weitere 50 Jahre gab es noch Widerstandsnester, z.B. in den rassistisch
geprägten Südstaaten der USA. Erst eine weitere Erkenntnisexplosion
seit
Beginn der 60er Jahre (des zwanzigsten Jahrhunderts) brachte den
endgültigen Erfolg. Zum Beispiel konnte das Alter der sog. Vormenschen
in den letzten 50 Jahren ca. um das 5-fache zurückdatiert werden,
wodurch viele noch offene Fragen beantwortet wurden.
Folgendes Prinzip lässt sich über alle Stufen der Evolution,
also seit 15 Milliarden Jahren, beobachten: Ein Evolutionsschritt ist nur
der Wegbereiter für die nächste Stufe. Die Evolution der vorhergehenden
Stufe verliert an Bedeutung, bewährte Ergebnisse werden in die nächste
Stufe übernommen. Was am längsten durchhält, überlebt.
Die Evolution der Materie (der schweren Elemente und deren chem.
Verbindungen) war Wegbereiter für die biologische Evolution. Diese
wiederum bereitete durch die Schaffung eines homo sapiens sapiens den Weg
für die Evolution des Geistes. Der menschliche Geist wird die Grundlage
für die nächste Stufe der Evolution werden. Der Schöpfungsprozess
dauert an, aber die Evolution des Geistes wird, ebenfalls an breiter Front,
wesentlich schneller voranschreiten als die biologische Evolution. Sie
wird jetzt durch ein intelligentes und denkendes Wesen angetrieben. Die
bisherige Evolution erforderte einen gewaltigen Aufwand und konnte uns
nur mit Mühe, Glück und Zufall hervorbringen. Der Mensch brauchte
von den ersten Versuchen der Glasherstellung bis zur Erfindung des Fotoapparates
nur ca. 3000 Jahre, die Natur brauchte zur Entwicklung des Linsenauges
2 Milliarden Jahre. Und das relativiert die Wunder
der Natur. Denn sie hat einfach mehr Zeit, als wir. Betrachten wir einen
fiktiven Organismus, der pro Tag einen Millimeter zurücklegt. In einem
Jahr 36 cm und nur wenn wir sehr alt werden, können wir ganze 30 Meter
als "Fortschritt" beobachten. Und hätte der Weg zu Beginn unserer
Zeitrechnung begonnen, so könnten wir das "Ding" noch in wenigen
Minuten, einholen. Aber in einer Milliarde Jahre hätte das "Ding"
die Erde locker neun mal umrundet. Diese einfache Betrachtung macht uns
bereits soviel Mühe, dass wir lieber einen Gott für die neunfache
Erdumrundung verantwortlich machen.
Die Evolution ist die Schöpfung. Das Aufregendste daran
ist: Wir Menschen werden den nächsten Schritt bewusst vollziehen.
Ist das nichts? Fragt da immer noch jemand nach dem Sinn des Lebens? Die
biologische Evolution ist, was den Menschen anbetrifft, nicht beendet,
aber sie verliert an Bedeutung weil wir unsere Lebensbedingungen zu schnell
verändern. Wir werden die Gentechnologie schneller beherrschen, als
die Natur unsere Erbanlagen zu verändern vermag. Wir brauchen die
biologische Evolution nicht mehr, denn die Stufe der Evolution des Geistes
ist bereits erreicht. Wenn dem nicht durch den zurückgebliebenen Teil
der Menschheit ein vorläufiges Ende bereitet wird. Zurückgeblieben
soll heißen, dass die Vernunft noch nicht erreicht worden ist und
Religionswahn, Hass, Neid und Intoleranz das Handeln bestimmen. Diese,
unsere unheilvollen genetisch angelegten Veranlagungen sind zweifellos
die größte Gefahr für die Menschheit. Die bisher größte
Gefahr, den nächsten Volltreffer aus dem All nicht zu überleben,
werden wir vermutlich in einigen Jahrzehnten abwenden können. Und
wenn es wirklich schiefgeht, dann hat die Natur noch genügend Zeit
für mindestens einen neuen Versuch. Wobei dieser
Versuch, wie auch der gegenwärtig laufende, kein Ziel haben wird.
Kopierfehler reichen aus.
Man denkt nicht gerne an eventuell bevorstehende globale Katastrophen,
aber ohne solche wären wir vermutlich noch nicht da. Die Evolution
brauchte Anpassungsdruck, also Veränderungen der Umwelt, um neue Lösungen
selektieren zu können. Den zur Weiterentwicklung des Geistes erforderlichen
Druck erschafft eben derselbe täglich aufs Neue, es wirken die gleichen
Mechanismen. Weil dies zu höheren Anforderungen an die Leistungen
des Gehirns führt, wird sich dieses ebenfalls weiterentwickeln, was
aufgrund der für die biologische Evolution erforderlichen großen
Zeiträume nicht beobachtbar ist.
Wir haben allerdings damit begonnen, die Mechanismen
der biologischen Evolution außer Kraft zu setzen. Das biologische
Trägersystem unseres Geistes wird uns zunehmend Probleme (in Form
von weiter dramatisch steigenden Kosten im Gesundheitswesen) bereiten,
wenn uns nicht in absehbarer Zeit dessen Stabilisierung durch den Einsatz
der Gentechnologie gelingen wird.
Am Beispiel unserer Gesellschaft kann deutlich
gemacht werden, wie wir selbst ein Prinzip der biologischen Evolution nicht
nur außer Kraft gesetzt, sondern auch pervertiert haben: Durch soziale
Anreize sorgen wir dafür, dass Bevölkerungsschichten zuwandern,
die an die Mechanismen unserer Gesellschaft weder angepasst noch anpassungsfähig
sind, also ohne fremde Hilfe in dieser Umgebung nicht überleben können,
aber die mit Abstand höchste Reproduktionsrate aufweisen. (Literaturhinweis:
John C. Eccles, 1989: Die Evolution des Gehirns - die Erschaffung des Selbst,
10.3)
Dass wir (homo sapiens sapiens) wieder von der Bühne verschwinden
werden, muss angenommen werden. Durch einen Unfall oder durch Weiterentwicklung.
Wobei die Weiterentwicklung sowohl auf der Basis eines genetisch zur Perfektion
getrimmten biologischen-, als auch in Form eines KI-Systems erfolgen
kann. Denn auch dieser Schritt wird auf breiter Front getan werden,
also mit unterschiedlichen Ansätzen, ehe sich eine Lösung bewähren
wird.
Die Sehnsucht nach dem Paradies, dem ewigen oder einem besseren Leben
bzw. der Wiedergeburt steckt schon in uns. Wir haben diese Perspektiven
in unsere Religionen hineinprojiziert und leben sie dort aus. Die Erkenntnis,
das wir selber daran arbeiten müssen, der einzelne Mensch jedoch nur
eine Statistenrolle spielt und den Erfolg niemals erleben kann, ist noch
nicht sehr verbreitet.
Können wir bereits eine Vorstellung von der nächsten Entwicklungsstufe der Evolution haben? Sicher nicht.