Der erschöpfte Schöpfer
Der Spiegel 52/1998
Die Astronomen entdecken Gott. Viele Himmelsforscher
können sich die immer wundersamer erscheinende Entstehung des Universums
nur durch einen Weltenlenker erklären. Der Papst verkündete schon
die Versöhnung von Glauben und Wissen.
Ein halbes Jahrhundert war Allan Sandage, 72, dem Alter des Universums
auf der Spur. Vor etwa 15 Milliarden Jahren, so hat der Forscher schließlich
aus dem Licht der Sterne errechnet, fing der ganze Schlamassel an. ,,Mister
Cosmology" nennen die Astronomen den großen Senior ihrer Zunft. Als
Schwärmgeist ist der exakte Empiriker bisher nicht aufgefallen.
Nun legte der weißhaarige Gelehrte (,,Als junger Mann war ich praktizierender
Atheist") ein überraschendes Glaubensbekenntnis ab. ,,Die Erforschung
des Universums hat mir gezeigt", so verkündete Sandage, ,,daß
die Existenz von Materie ein Wunder ist, das sich nur übernatürlich
erklären läßt." Der Kosmologe sprach auf einer Konferenz
zum Thema ,,Wissenschaft und spirituelle Suche", zu der in diesem Sommer
Koryphäen der Physik und Biologie ins kalifornische Berkeley pilgerten.
Wie Sandage offenbarten sich die meisten der über 300 angereisten
Wissenschaftler als zutiefst gläubige Menschen - etwa Charles Townes,
der 1964 für die Entwicklung des Lasers den Physik- Nobelpreis erhalten
hatte: ,,Bei den Gesetzen des Universums ist ein intelligentes Wesen involviert."
Der mehrtägige Forscher-Gottesdienst, bezahlt von dem religiösen
Milliardär und Missionar John Templeton, erregte in den US-Medien
großes Aufsehen. ,,Die Wissenschaft entdeckt Gott", titelte das Nachrichtenmagazin
,,Newsweek".
,,Es herrscht tatsächlich so etwas wie Tauwetter zwischen Wissenschaft
und Religion", bestätigt der Schweizer Astronom Gustav Tammann, ein
Weggefährte von Sandage. ,,Wir Wissenschaftler sind viel bescheidener
geworden. Wir gehen zwar davon aus, da wir irgendwann alle Spielregeln
innerhalb unseres Universums ohne einen Gott erklären können.
Aber den meisten von uns ist bewußt, daß sich alles, was außerhalb
dieser geschlossenen Box liegt, niemals beschreiben läßt."
Daß Forscher gar nicht so gottlose Gesellen sind, belegt auch
eine überraschende Umfrage unter US-Gelehrten, die unlängst vom
Wissenschaftsmagazin ,,Nature" veröffentlicht wurde. Rund 40 Prozent
der interviewten Biologen, Physiker und Mathematiker glauben an einen ,,persönlichen
Gott"; viele von ihnen beten sogar zu ihm und hoffen auf eine Antwort.
So etwas hört der amtierende Papst gern. Johannes Paul II. ist
seinerseits bemüht, endlich den jahrhundertealten Grabenkrieg mit
den Naturforschern zu beenden. Von seinen Vorgängern verfolgte Ketzer
wie Galileo Galilei und Charles Darwin hat der Pole rehabilitiert. Den
heutigen Forschern bot der Heilige Vater in seiner vor wenigen Wochen veröffentlichten
13. Enzyklika eine Art Waffenstillstand an. ,,Glaube und Vernunft sind
die beiden Flügel", so verkündete Johannes Paul II., ,,mit denen
sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt."
Seine Untertanen hat er in den letzten Jahren mehrfach dazu aufgerufen,
den vor Generationen abgerissenen Gesprächsfaden mit den Naturforschern
wiederaufzunehmen. Seine Hirten sind ihrem Oberhaupt gefolgt. Die einflußreiche
Katholische Akademie in München etwa lud Physiker und Astronomen zu
einem Gespräch über das Thema ,,Kosmos und Schöpfung". 300
Teilnehmer kamen. ,,Die unbewältigte Vergangenheit wirkt fort", klagte
auf der Tagung der AstrophysikerJohann Dorschner von der Universität
Jena. Akademieleiter Franz Henrich spendete Trost: ,,Naturwissenschaft
und Theologie stehen sich nicht mehr unversöhnlich gegenüber."
,,Ein Ende der Blockade" konstatiert auch der Tübinger Theologieprofessor
Albert Biesinger, der seine Gespräche mit einem befreundeten Biochemiker
als Buch veröffentlicht hat (,,Gott, der Urknall und das Leben").
,,Als Christ freue ich mich sogar, daß die Physiker die Weltformel
finden wollen", sagt Biesinger, ,,denn ich bin sehr gespannt darauf, zu
erfahren, wie Gott das mit der Schöpfung angestellt hat."
Die Annäherung ist ausgerechnet auf jenem Forschungsgebiet bereits
weit fortgeschritten, das Wissenschaft und Religion einst entzweite: bei
der Himmelskunde. In jüngster Zeit haben die Astronomen immer mehr
Indizien dafür gesammelt, daß das Universum tatsächlich
vor 15 Milliarden Jahren mit einer gewaltigen Explosion aus dem Nichts
geboren wurde - und daß sich das Weltall bis in alle Ewigkeit ausdehnen
wird (siehe Seite 171).
Für die Kirchenmänner ist das eine frohe Botschaft - denn
von allen kosmologischen Modellen ist die lange umstrittene Urknall-Theorie
am besten mit dem christlichen Glauben an einen Schöpfergott vereinbar.
,,Die Erkenntnis des Urknalls", so formuliert es der vatikanische Astronom
und Jesuitenpater William Storger, ,,hat
das Bild Gottes nur veredelt."
Die christlichen Glaubenshüter stört auch nicht, daß
die Urknall-Lehre strenggenommen der Genesis widerspricht, nach der Gott
die Welt in sieben Tagen erschaffen hat. ,,Die biblische Schöpfungsgeschichte
ist kein wissenschaftliches Lehrbuch", argumentiert Pater Georg Coyne,
Direktor der Vatikan-Sternwarte in Castelgandolfo. ,,Sie sagt uns nicht,
wie der Himmel funktioniert, sondern wie wir dort hinkommen."
Die entscheidende Bestätigung für den großen Knall
funkte erst vor wenigen Jahren der Nasa-Satellit ,,Cobe" aus dem All. Die
Sonde hatte die Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung vermessen,
die als Glutrest der Anfangsexplosion gilt. Die Astrophysiker jubelten.
Die Meßwerte deckten sich mit den theoretischen Vorhersagen der Urknall-Modelle.
Als der Cobe-Projektleiter George Smoot die kosmische Temperaturkarte,
gleichsam das Jugendfoto des Universums, in Händen hielt, bekreuzigte
er sich. ,,Wenn du wie ich ein religiöser Mensch bist", entfuhr es
dem amerikanischen Astrophysiker, ,,hast du das Gefühl, du blickst
auf Gott."
Andere, weniger gläubige Forscher tun sich hingegen noch immer
schwer mit dem Urknall. ,,Die Theologen sind im allgemeinen sehr erfreut
darüber, zu hören, daß das Universum einen Anfang hatte",
schreibt der US-Astronom Robert Jastrow in seinem Buch ,,God and the Astronomers",
,,doch die Astronomen sind seltsamerweise darüber erbost."
Lieber sähen viele Sternenforscher das Universum - wie in all
den Jahrhunderten zuvor - als ein gewaltiges Uhrwerk, dessen Räder
sich in einem ewig unveränderlichen Rhythmus drehen. ,,Unendlich sollte
das Universum sein, ohne Anfang und Ende der Zeit", meint der atheistisch
eingestellte Urknall-Theoretiker Steven Weinberg - in einem solchen Weltenkreis
würde er sich ,,wesentlich wohler fühlen". Denn in einem gleichbleibenden
(,,statischen") Weltall, das immer schon da war, wäre ein Schöpfer
überflüssig.
So paßt es umgekehrt ins Bild, daß der Vater der Urknall-Theorie,
was kaum bekannt ist, ein Mann der Kirche war. Bereits im Jahre 1931 veröffentlichte
der junge belgische Priester und Astronom Georges Lemaitre in ,,Nature"
seine Idee von einem vor Äonen explodierten ,,Uratom", aus dem Raum,
Zeit und Materie hervorgegangen seien. ,,Die Entwicklung der Welt könnte
man mit dem Ende eines Feuerwerks vergleichen", schrieb Lemaitre. ,,Wir
stehen auf einer gut gekühlten Schlacke und sehen das langsame Schwinden
der Sonnen." Auf seine Schöpfungs-Version war der Priester gekommen,
als er Ende der zwanziger Jahre das Mount Wilson Observatorium in Kalifornien
besuchte. Dort hatte der US-Astronom Edwin Hubble (ein ehemaliger Boxer
und Rechtsanwalt) gerade entdeckt, daß sich alle beobachteten Galaxien
mit enormer Geschwindigkeit von der Erde fortbewegen. Lemaitre ließ
sich von Hubble berichten - und schloß messerscharf: Die Galaxien
verhalten sich wie Granatsplitter nach einer Detonation.
Die Astronomen lehnten die Überlegungen ihres gottesfürchtigen
Kollegen anfangs strikt ab, sie wollten so etwas wie einen Schöpfungsakt
in ihren Modellen tunlichst vermeiden. Lemaitre stieg später zum Präsidenten
der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften auf. Aber genaugenommen
ist die Urknall- Idee sogar noch viel älter - ursprünglich stammt
sie von einem mittelalterlichen Kirchenmann. Um das Jahr 1200, Jahrhunderte
vor Erfindung des Fernrohrs, entwarf der englische Theologe Robert Grosseteste
(1168 bis 1253), der erste Kanzler der Universität Oxford, eine bizarr
klingende Kosmologie.
Das Universum sei entstanden, so lehrte Grosseteste, als Gott einen
winzigen Lichtpunkt schuf. Der Lichtpunkt breitete sich sofort nach allen
Richtungen aus und riß die gleichzeitig geschaffene Materie mit sich.
So wuchs mit rasender Geschwindigkeit ein kugelförmiger Kosmos, und
aus der Materie formten sich die Gestirne - ein für die damalige Zeit
unerhörtes Gedankenspiel.
Päpstlichen Segen erhielt die Urknall- Lehre, als sie in Forscherkreisen
noch heftig umstritten war. Bereits 1950 nahm Papst Pius XII. das Big-Bang-Modell
als eine Bestätigung für die biblische Schöpfungsgeschlchte.
Alles deute darauf hin, so erklärte das Kirchenoberhaupt, daß
das Universum in einer begrenzten Zeit einen machtvollen Anfang genommen
habe. Nur ein allmächtiges Wesen sei in der Lage gewesen, eine solche
Urexplosion zu zünden - Gott als der himmlische Feuerwerker.
Jetzt, da die letzten Zweifel an dem Urknall-Modell ausgeräumt
scheinen, will die Kirche endlich aus der Schmollecke heraus, in der sie
seit über 400 Jahren hockt. Ohnmächtig hatten die Christenführer
seit Beginn der Aufklärung hinnehmen müssen, wie ihr Gott Zug
um Zug aus der Welt hinausgedrängt wurde.
Die Entzauberung des Himmels begann mit Nikolaus Kopernikus, der die
Erde und mithin auch Gottes Kinder aus dem Mittelpunkt des Universums verstieß.
Vom 16. Jahrhundert an wuchs stetig die Zahl der ,,Kopernikaner"; Naturforscher
wie Galileo Galilei, Johannes Kepler oder Giordano Bruno befestigten den
theoretischen Rohbau ihres großen Vorbildes weiter.
Von dem respektlosen neuen Forschertyp aufgeschreckt, setzten die Kirchenfürsten
alles daran, die Flut neuer, ketzerischer Ideen mit aller Gewalt einzudämmen.
Galilei wurde von der Heiligen Inquisition gezwungen, die Erde wieder öffentlich
als Mittelpunkt des Universums anzuerkennen. Noch schlimmer erging es dem
Visionär Bruno, der im Weltall unendlich viele von bewohnten Planeten
umkreiste Sonnen vermutete; er starb den Flammentod.
Doch der Versuch, die renitent gewordenen Forscher auf Dauer zu zähmen,
mißlang. Mit ihrem Terror erreichte die Kirche lediglich, daß
sie für Jahrhunderte ihr Verhältnis zu den Naturwissenschaften
ruinierte - ohne deren Siegeszug noch aufhalten zu können.
Gegen die ärgste Demütigung, die dem Christentum von Charles
Darwin zugefügt wurde, vermochten sich die Kirchenoberen schon nicht
mehr zu wehren. Gegen den Widerstand christlicher Fundis hat der Papst
der Darwinschen Evolutionstheorie vor zwei Jahren sogar seinen amtlichen
Segen gegeben. Kein Gott, so hatte der Naturforscher Mitte letzten Jahrhunderts
verkündet, habe die Menschen nach seinem Ebenbild geformt; vielmehr
seien sie nur die Vettern der Tiere, hervorgegangen aus einem Prozeß
natürlicher Auslese.
Mit der Zeit wurde Gott so zum Platzhalter für jeweils die Naturphänomene,
welche die Wissenschaftler gerade noch nicht entschlüsselt hatten.
Inzwischen ist dem göttlichen Willen nur ein letzter Schlupfwinkel
geblieben: der Schöpfungsakt. Doch wie lange noch? Auch aus dieser
letzten Nische wollen einige Physiker Gott noch vertreiben. Schon vor ein
paar Jahren zeigte der gelähmte britische Meisterdenker Stephen Hawklng,
wie sich die gigantische Himmelsmaschine auch ohne göttliche Intervention
in Bewegung gesetzt haben könnte.
Ausgangspunkt seiner - allerdings umstrittenen - Überlegung ist
die in den zwanziger Jahren entstandene Quantentheorie, die gewöhnlich
das bizarre Verhalten von Elementarteilchen wie Quarks und Elektronen beschreibt.
In der geheimnisvollen Welt des Allerkleinsten, so ergibt sich aus den
Gleichungen, kommt es vor, daß Geisterteilchen ohne äußere
Ursache aus dem Nichts auftauchen und wieder verschwinden.
Hawklng wendete nun die physikalischen Gesetze des Mikrokosmos auf
das Universum als Ganzes an. Diesen Kunstgriff rechtfertigte er damit,
daß das gesamte Weltall bei seiner Geburt auf einen Raum, kleiner
als ein Atom, zusammengepreßt war. Und siehe da: Wie ein Kaninchen
aus dem Zylinder erschien in seinen Gleichungen plötzlich jene Energiekugel,
aus der dann alles Weitere entstand - ohne äußeres Zutun, nur
aufgrund einer ,,Quantenfluktuation". ,,Das ist kein Beweis, daß
es Gott nicht gibt", beeilte sich Hawklng zu sagen. ,,Es bedeutet nur,
daß Gott nicht notwendig ist."
Die Kirchenmänner sehen ihren Gott in seiner Rolle als Weltenerbauer
aber ohnehin nicht ernsthaft bedroht. Ihr wichtigstes Argument: Von den
unendlich vielen denkbaren Universen ist ausgerechnet ein solches entstanden,
das die Bildung von Sternen, Planeten und sogar Leben ermöglicht.
Das kann kein Zufall sein. Wer aber außer Gott soll die beste aller
möglichen Welten ausgewählt haben?
,,Die Existenz der Ordnung im Universum", so formulierte der britische
Religionsphilosoph Richard Swinburne, ,,erhöht die Wahrscheinlichkeit,
daß es einen Gott gibt, beträchtlich."
In der Tat würde jede noch so winzige Verschiebung der Naturkonstanten
verhindern, daß irgendwo im Universum Leben und damit Intelligenz
entstehen kann. Wäre etwa die Schwerkraft, die schwächste aller
Naturkräfte, nur ein bischen stärker, so hätten sich weder
Sonnen noch Planeten bilden können; das Weltall wäre schon bald
nach dem Urknall wieder in sich zusammengestürzt.
Noch ein Wunder: Aus den Energietropfen des Urknalls gefroren stets
zwei gegensätzliche Materiebausteine, ein Teilchen und sein Antiteilchen.
Nach den geltenden Naturgesetzen entstanden beide Formen von Materie folglich
in gleicher Menge und löschten sich einen Bruchteil einer Sekunde
später wieder gegenseitig aus. Bis heute rätseln die Physiker,
weshalb ein Teil der Materie das Inferno überlebte - und dann Sterne,
Planeten, Pflanzen, Tiere und Menschen formte. Ähnlich verhält
es sich mit allen übrigen Konstanten wie den verschiedenen, Teilchenmassen
und -ladungen, den Stärken der Kernkräfte oder der Geschwindigkeit
des Lichts. Viel wahrscheinlicher wäre es gewesen, daß nur Lichtquanten
und Neutrinos das anfängliche Höllenfeuer überstanden hätten
- das Weltall wäre dann zwar gleißend hell erleuchtet, aber
vollkommen leer.
,,Wenn wir Gott spielen und die Werte für die Naturkonstanten
und -kräfte durch Knopfdruck frei wählen könnten", erläutert
der britische Physiker Paul Davies, ,,würden wir wohl entdecken, daß
fast alle Einstellungen das Universum unbewohnbar machen würden."
Also doch göttliche Zielplanung?
,,Es hat wirklich den Anschein, als ob wir von Anfang an eingeplant
gewesen wären", so beschreibt Dorschner dieses in der Fachwelt derzeit
heftig diskutierte ,,anthropische Prinzip". Der ostdeutsche Forscher sieht
darin eine ,,mögliche goldene Brücke zwischen Kosmologen und
Theologen".
Doch unser so unwahrscheinliches Universum läßt sich auch
ohne einen Gott erklären. Denn vielleicht gibt es ja, so argumentieren
andere Astrophysiker, nicht nur ein einziges Universum, sondern unendlich
viele verschiedene, die getrennt voneinander existieren. ,,Wie bei einer
kochenden Suppe, in der andauernd Blasen emporsteigen, könnten sich
immer neue Universen entfalten", erläutert der Physiker Wolfgang Wild
von der TU München.
Ereignet sich also ständig irgendwo ein neuer Urknall? Das Universum,
das die Menschheit beherbergt, wäre dann eben doch nur ein statistischer
Zufallstreffer. Fast alle anderen Universen hingegen kämen als Totgeburten
auf die Welt - jedoch unbemerkt, denn niemand lebte dort, der die grenzenlose
Ödnis wahrnehmen könnte. Anders gesagt: In der kosmischen Lotterie
haben die Menschen mit ihrem Universum einfach das große Los gezogen.
Astronom Tammann findet die Idee von unendlich vielen Universen allerdings
kaum überzeugend. ,,Das ist doch nicht weniger spekulativ als die
Annahme eines Schöpfergottes - in beiden Fällen wird einfach
nur ein Joker ins Spiel gebracht, der mit Wissenschaft nichts zu tun hat."
Tammann hält deshalb einen Schöpfergott mindestens für
ebenso plausibel wie alle übrigen, streng naturwissenschaftlichen
Erklärungen für die Entstehung der Welt: ,,Wer klar bei Verstand
ist, kann die Möglichkeit eines Schöpfers nicht ernsthaft ausschließen."
In der neuen spirituellen Offenheit, mit der die Physiker eine göttliche
Kraft in ihrem Universum dulden, kommt allerdings zugleich zum Ausdruck,
wie weit dieser Gottesbegriff von dem der Kirche entfernt ist: Von der
Vorstellung eines religionsstiftenden Übervaters, der auch noch die
Gesetze menschlichen Handelns erläßt, ist darin nichts mehr
übrig - und über einen Gott in der Rolle des bloßen Uhrmachers
und Maschinenmeisters läßt sich ganz unverfänglich spekulieren.
Bis auf wenige Ausnahmen gestehen selbst die der Religion aufgeschlossenen
Physiker oder Biologen einem Gott nur eine bescheidene, zeitlich befristete
Rolle auf der Himmelsbühne zu. Spätestens nachdem er die Welt
und die Naturgesetze erschaffen hatte, darin sind sich fast alle Forscher
einig, begab sich der Schöpfer erschöpft zur Ruh.
,,Gott ist der, der etwas sich selbst Organisierendes geschaffen hat",
so stellt sich das etwa der Basler Genetiker und Nobelpreisträger
Werner Arber vor. ,,Er war schlau genug, so zu planen, daß er nicht
eingreifen muß."
Allenfalls schaute Gott noch zu, wie sich die Dinge entwickelten, aber
er mischte sich nicht mehr in das Geschehen ein. In den letzten 15 Milliarden
Jahren hinterließ er weder irgendwelche Spuren, noch kümmerte
er sich um die Schicksale von Menschen. Holocaust und Hiroschima hat er
nicht verhindert.
Ein solches Gottesbild hatte schon das Jahrhundertgenie Albert Einstein.
Im April 1921 bekam der Vater der Relativitätstheorie ein Telegramm
von Herbert Goldstein. Der New Yorker Rabbi fragte darin besorgt: ,,Glauben
Sie an Gott? Stopp. Bezahlte Antwort: 50 Worte." Der sparsame Einstein
telegrafierte nur 29 Wörter zurück: ,,Ich glaube an Spinozas
Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht
an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen
abgibt."
Baruch de Spinoza (1632 bis 1677), Nachfahre aus Portugal in die Niederlande
eingewanderter Juden, war ein strenger Denker: Nur die mathematische Vorgehensweise
führte nach seiner Ansicht zur Erkenntnis der Wahrheit. ,,Deus sive
natura", die Natur mit ihren nach strikten Gesetzen waltenden Kräften
ist Gott, lehrte der Philosoph aus Amsterdam - eine Doktrin, die modernen
Wissenschaftlern überaus sympathisch erscheinen muß.
Doch der Determinismus, den Spinoza predigte, läßt wenig
Raum für die menschliche Freiheit, ohne die es keine Wahl zwischen
Gut und Böse gibt. In Spinozas Ethik gleicht das Böse eher einem
Irrtum bei der Wahrheitssuche, sub specie aeternitatis existiert es letztlich
nicht. Damit konnten sich die Theologen kaum abfinden: 1656 wurde Spinoza
wegen ,,schrecklicher Irrlehren" aus der jüdischen Gemeinde verstoßen.
Auf die frommen Rabbiner wirkte Spinozas Gott allzu schattenhaft: Was
bleibt vom Allmächtigen, wenn er keine Wunder zuläßt, die
den Naturgesetzen zuwiderlaufen, wenn er nicht belohnt und straft, am Jüngsten
Tag Gericht hält, die Toten auferweckt oder Gebote erläßt,
die den Menschen auf Erden als Richtschnur dienen? Gegenüber einem
solchen Himmelsherrscher erscheint Spinozas göttliches Ordnungsprinzip
blaß und blutleer wie ein Gespenst.
Aber selbst mit einem derart minimalistischen Gottesbild, das in der
Forschergemeinde mehr und mehr Verbreitung findet, mögen sich die
eingefleischten Skeptiker nicht anfreunden. Die Vorstellung eines arbeitslosen
Schöpfers, der sich nur zu Beginn aller Zeiten einmal richtig angestrengt
hat, sei ,,völlig nichtssagend", schimpft der Urknalltheoretiker Weinberg.
Auf einen Gott, der jenseits von Raum und Zeit wabere und sich aus allem
heraushalte, argumentiert Weinberg, könne man gleich ganz verzichten.
Pure Heuchelei sei es, so der Physiker, Gott am Ende einfach mit den unpersönlichen
Naturgesetzen gleichzusetzen, ,,nur um dem Vorwurf zu entgehen, keinen
Gott zu haben".
Wie Weinberg sind die Skeptiker unter den Himmelsforschern noch immer
davon überzeugt, daß sie irgendwann das Universum aus sich selbst
erklären werden und einen Schöpfergott damit überflüssig
machen können. ,,An der Grenze der Wissenschaft gibt es noch einen
Raum, in dem es Platz für einen Schöpfer geben könnte",
meint der Physiknobelpreisträger Leon Lederman. ,,Aber der Raum ist
in den letzten 50 Jahren immer kleiner geworden, und er wird weiter schrumpfen."
daß es für Gott und seine Gläubigen einmal böse enden
könnte, hat der heilige Augustinus schon vor 1600 Jahren vorhergesehen.
Er erkannte, daß die hartnäckigen Wissenschaftler nicht ruhen
würden, bis sie den Schöpfer ganz aus der Welt vertrieben hätten.
,,Was tat Gott", so ermahnte der Kirchenvater deshalb die Naturforscher,
,,bevor er Himmel und Erde schuf?" Augustinus' Antwort: ,,Er bereitete
die Hölle vor für all jene, die solche Fragen stellen."
OLAF STAMPF
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