Die Menschheit liest aus den sogenannten Heiligen Schriften.
Wem das I Ging zu schwer verständlich, der Koran
zu fremd und die Bibel zumindest in Teilen zu inhuman ist
oder wer mehrere tausend Jahre alte Schriften nicht in unsere Zeit portieren
möchte, der kann auch an anderen Werken der Weltliteratur Erbauung
finden. Siddharta (s. Literaturverzeichnis)
ist für mich eine wirksamere Medizin als das Neue Testament schrieb
Henry Miller.
Hier folgt ein Ausschnitt aus Goethes im Jahr 1808 erschienenen Faust:
Marthens Garten (Margarete, Faust)
M: Versprich mir, Heinrich!
F: Was ich kann!
M: Nun sag', wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub', du hältst nicht viel davon.
F: Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin
dir gut,
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
M: Das ist nicht recht, man muß dran glauben!
F: Muß man?
M: Ach, wenn ich etwas auf dich könnte!
Du ehrst auch nicht die heil'gen Sakramente.
F: Ich ehre sie.
M: Doch ohne Verlangen.
Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
F: Mein Liebchen, wer darf sagen:
Ich glaub' an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
M: So glaubst du nicht?
F: Mißhör' mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn?
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub' ihn nicht?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen freundlich blickend,
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau' ich nicht Aug' in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll' davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn' es dann, wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
M: Das ist alles recht schön und gut;
Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein bißchen andern Worten.
F: Es sagen's aller Orten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;
Warum nicht ich in der meinen?
M: Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.
F: Lieb's Kind!
M: Es tut mir lang' schon weh,
Daß ich dich in der Gesellschaft seh'.
F: Wieso?
M: Der Mensch, den du da bei dir hast,
Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt;
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich ins Herz gegeben,
Als des Menschen widrig Gesicht.
F: Liebe Puppe, fürcht' ihn nicht!
M: Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,
Hab ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih' mir's, wenn ich ihm unrecht tu!
F: Es muß auch solche Käuze geben.
M: Wollte nicht mit seinesgleichen leben!
Kommt er einmal zur Tür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein,
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil
nimmt;
Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird's so wohl in deinem Arm,
So frei, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.
F: Du ahnungsvoller Engel du!
M: Das übermannt mich so sehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch, wenn er da ist, könnt ich nimmer beten,
Und das frißt mir ins Herz hinein;
Dir, Heinrich, muß es auch so sein.
F: Du hast nun die Antipathie!
M: Ich muß nun fort.
F: ...........