In diesem Kapitel soll nun eine weitere These zur entwicklungsgeschichtlichen
Bedeutung des Glaubens gewagt werden. Wir kennen alle den Spruch: Glaube
versetzt Berge. Wir haben auch von Erfahrungen gehört, die dem
Gebet die erwünschten Wirkungen zusprechen. Auch wenn viele solcher
"Erfahrungen"
eher der Einbildung zuzuschreiben sind, sind Fälle zu beobachten,
bei denen Gebete wohl doch "erhört" wurden.
Aber von wem?
Es wird immer wieder die Ansicht verbreitet, dass wir unser Gehirn
nur zu einem geringen Prozentsatz (z.B. 5-10%) nutzen. Von den Möglichkeiten
der restlichen 90% werden dann wunderbare Thesen abgeleitet. Aber
auch die restlichen 90% haben Vollbeschäftigung (was ja in dem
10%-Bereich nicht immer beobachtet werden kann): Sie sind mit der Steuerung
der Körperfunktionen und aller anderen unbewußt ablaufenden
Vorgänge
beschäftigt, so wie dies bei jedem höheren Säugetier
(z.B.
bei der Katze Mimi auf der Übersichtsseite) der Fall ist.
Nun zu unseren 5-10%: Schreiben wir diesem Bereich das bewusste Denken
zu, so können wir die restlichen 90% des Gehirns nicht wahrnehmen.
Dem Bewusstsein musste hier eine Zugriffssperre errichtet werden. Tatsächlich
aber kommunizieren alle Teile des Gehirns miteinander.
Denken wir an die Trennung der Systemsoftware von der Anwendersoftware
auf unserem Rechner.
90% sind Systemsoftware, die der Laie nicht verändern kann. Wohl
aber kann dieser eine Anwendersoftware (oder nur einen Text) schreiben,
wobei intensiv mit den Funktionen der Systemsoftware kommuniziert wird
- was aber der Anwender nicht direkt wahrnehmen kann. Er kann aber darüber
wissen. Würde der Anwender uneingeschränkt Zugriff zur Systemsoftware
haben - deren Komplexität für ihn unüberschaubar ist - hätte
es das System in kurzer Zeit unreparierbar zerstört.
Die Möglichkeit, den unbewussten Teil unseres Gehirnes zu programmieren,
kann an folgenden Beispielen veranschaulicht werden. Wenn unsere Kleinen
das Gehen - und etwas später das Radfahren erlernen, wird deutlich,
dass immer wieder trainierte Bewegungsabläufe schließlich unbewusst,
d.h. reflexartig, gesteuert werden. Wer einen Selbstverteidigungssport
erlernt, wird zunächst monatelang immer wieder die gleichen Übungen
ausführen, bis auch diese Bewegungen unbewusst, d.h. reflexartig ausgeführt
werden. Und das macht den entscheidenden Zeitvorteil bei der Abwehr eines
Angriffs aus. Derartig trainiert, wird man unbewußt eine blitzschnelle
Abwehrbewegung einleiten, wenn der Sitznachbar sich nur vor Freude auf
die eigenen Schenkel klopfen möchte. Die bewusste Wahrnehmung und
das Einleiten entsprechender Denkvorgänge wird kurzgeschlossen. Wir
würden zwar dann keine überflüssige Bewegung einleiten,
aber im Erstfall kämen wir zu spät. Noch ein Beispiel: Sie haben
sicher schon einen mit absoluter Sicherheit operierenden Jogleur bewundert.
Kein Problem, können Sie auch. Üben Sie einfach jeden Tag mindestens
eine Stunde. Nach einigen Monaten werden sich Erfolge einstellen, nach
einigen Jahren können Sie damit vielleicht schon Geld verdienen. Das
Geheimnis liegt auch hier in der unbewussten, reflexartigen Steuerung der
Beqwegungsabläufe.
Dem gleichen Prinzip folgen die Übungen (das Training)
zur autogenen Entspannung und Autosuggestion, Selbsthypnose. Erst nach
monatelangem
Üben wird sich ein Erfolg einstellen. Aber Vorsicht: Wir trainieren
hier nicht Bewegungsabläufe, sondern wollen auf Körperfunktionen
Einfluss nehmen. Wer sich erstmals auf diese Gebiet wagen möchte,
sollte sich daher einer sachkundigen Führung bedienen. Man bewegt
sich auf gefährlichem Terrain.
Grundsätzlich sind diese Methoden von jedem erlernbar, aber die
Befähigung dazu ist auch wieder normalverteilt. D.h., bei einigen
Menschen werden sich erste Erfolge bald einstellen, die meisten aber werden
ungeduldig aufgeben. In den asiatischen Kulturen, in denen die westliche
Ungeduld eher fremd ist, sind diese Methoden mehr verbreitet.
Der Autor Dr. Joseph Murphy weist in seinem Buch Die Macht
des Unterbewusstseins darauf hin, dass diese Übungen nur dann
Aussicht auf Erfolg haben können, wenn man sich diesen zweifelsfrei
bedient. Wer sich also hinsetzt und im Verborgenen den Zweifel an diesem
Weg behält (mal sehen, ob das wirklich funktioniert, glaub' ich
eigentlich nicht, ...), hat schon verloren.
Der intellektuelle Ansatz des hier beschriebenen Wegs macht diesen
zur Nischenlösung, er ist für eine breite Anwendung nicht geeignet.
Spätestens bei dem Stichwort "zweifelsfrei" sollten wir
uns wieder dem Mechanismus des Glaubens zuwenden. Hier ist ja Zweifelsfreiheit
zum Prinzip geworden. Wer also statt der bei den vorgenannten Methoden
üblichen Beschwörungsformeln durch Gebete ersetzt, kommt möglicherweise
schneller zum Ziel. Eine wichtige Voraussetzung, die Zweifelsfreiheit,
ist bei den Religionen systemimmanent. Ebenso das ständige Üben,
das Training: In den Religionen ist vorgesehen, mindesten einmal täglich
zu beten, in einer besinnlichen Umgebung, gestützt durch Rituale,
eingebettet in die für den Dialog mit dem Heiligen entwickelten
Ausdrucksformen
(Musik, Rhythmen, Gesang). Hilfsmittel (Gebetsketten)
sorgen für häufige Wiederholung der Gebete.
Wer also mit solcher Intensität "Herr, mach, dass ich wieder
gehen kann" betet, kann durchaus Erfolg haben. Natürlich haben
solche "Wunder" ihre Grenzen, sie kommen an manchen biologischen
Tatsachen auch nicht vorbei. Heilungsprozesse können aber unterstützt,
bzw. eingeleitet werden.
Dass der "Herr" nicht im Himmel, sondern im Inneren des Menschen
wohnt, ist bei diesem Weg nebensächlich - Hauptsache, er hört
uns.
Der bekannte Placebo-Effekt folgt ebenfalls diesem Mechanismus. Bzgl.
der Wirkung muss aber auch hier zwischen Einbildung und Realität
unterschieden werden.
Vielen Menschen erscheinen solche Thesen als sehr weit hergeholt. Das
sind sie auch, denn es handelt sich vermutlich um Jahrtausende altes Wissen,
das in unserer "fortschrittlichen" Kultur durch die Ritzen gefallen
ist.