Themenbezogene Artikel aus der Tagespresse

Astrophysik
Der Kosmos - ein einziges Labor
Blick in den kosmischen Kreißsaal
Teilchenphysik
Die Zeit kann nicht rückwärts laufen
Evolution und KI
Hawking sagt neuen Menschen voraus
Wem gehört die Zukunft?
Ein Computer, der alles verändern wird
In 30 Jahren verschmelzen wir mit Maschinen
Roboter lernen mit Hilfe von genetischen Algorithmen
Wir werden Gott ersetzen 
Ein einzelnes Molekül wirkt als elektronischer Schalter
Die Natur ist das größte Patentamt der Welt 
Religion
Gott - kein Patriarch mit weißem Bart
Der Mond besteht nicht aus grünem Käse (mit Leserbrief)
Philosophie und Psychologie
Es kommt oft alles halb so schlimm
Politik und Gesellschaft
Starzacher soll Chef der Ruhrkohle werden
In Europa droht ein dramatischer Mangel an Physikern
Ostdeutsche Lehrer  verklären das DDR-System
G und I - Zwei Buchstaben verändern die Welt
Blamage für den Standort
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Der Kosmos - ein einziges Labor
Vom Urknall zur Milchstrasse: Das Universum gibt Auskunft über Eigenschaften der Materie / Ersatz für teure Beschleuniger (SZ Nr. 8 - 12.1.1999)

Elementarteilchenphysiker jagen in riesigen Beschleunigern Partikel aufeinander, Biologen und Genetiker schneiden an lebenden Zellen herum. Im Gegensatz dazu können die Astronomen mit Sternen oder Galaxien nicht experimentieren. Sie warten geduldig an ihren Teleskopen und Detektoren, die Strahlen himmlischer Objekte einfangen, und hoffen dabei auf interessante Signale. Diese Hoffnungen wurden bislang nicht enttäuscht, denn der sanfte Weg der Astronomen zu den Geheimnissen der Natur führte zur Entdeckung perfekt eingerichteter kosmischer Labors.
Selbst wohlbekannte astronomische Objekte wie die Sonne eignen sich als preiswerte Testlabors - etwa für die unsichtbaren Teilchen der Dunklen Materie. Vorteilhaft ist auch, daß die kosmische Strahlung energiereicher ist, als es die Teilchen in den Beschleunigern sind. Noch weiß man zwar nicht, wie alle Vorgänge im All zu interpretieren sind, weshalb kosmische Labors die terrestrischen nicht völlig ersetzen können. Doch die Astronomen sind auf dem Weg dahin.
Blinkende Sterne
Ein ideales Labor war gefunden, als John Taylor und Russel Hulse im Jahre 1974 am Radioteleskop von Arecibo eine Quelle entdeckten, die etwa alle 59 tausendstel Sekunden einen Radiopuls zur Erde schickte. Zu dieser Zeit kannten die Astronomen schon einige hundert Quellen regelmäßiger Radiopulse, die so genau blinken, wie Atomuhren ticken.
Das Besondere dieser Pulsare ist ein sich gleichmäßig drehender Neutronenstern. Neutronensterne, die in Supernova-Explosionen entstehen,  ähneln riesigen Atomkernen mit einem Radius von zehn Kilometern und der Masse der Sonne. Weil sie so kompakt sind, können sie sich viele Male in der Sekunde um ihre Achse drehen, ohne von der Fliehkraft zerrissen zu werden.
Aus den kleinen periodischen Schwankungen des neuentdeckten Pulsars schlossen die Astrophysiker, daß der Sender zu einem Doppelsternsystem gehörte. Bald war auch klar, daß der Partner ebenfalls ein Neutronenstern sein mußte. Der Gang der Pulsaruhr wird nur durch Effekte der Einsteinschen Gravitationstheorie beeinflußt, weshalb das Doppelsternsystem ein perfektes Testlabor für die Relativitätstheorie ist, besser als Albert Einstein sich erträumen konnte.
20 Jahre lang beobachteten John Taylor und Russell Hulse den Binärpulsar, wofür sie 1993 mit dem Physik-Nobelpreis belohnt wurden. In dieser Zeit konnten sie unter anderem messen, wie sich die Bahnperiode durch relativistische Effekte verkürzt: 76 millionstel Sekunden pro Jahr, was genau den theoretischen Vorhersagen entspricht. Dieses sehr genaue Ergebnis war der erste Hinweis auf Gravitationswellen, die Einstein bereits vorhergesagt hatte.
Mittlerweile hat man einige weitere Pulsar-Doppelsterne entdeckt. Physiker müssen nur noch Pulsankunftszeiten messen und Pulse zählen, um Einsteins Theorie immer präziser zu testen. In einigen hundert Millionen Jahren werden die beiden Neutronensterne im Binärpulsarsystem aufeinanderprallen und einen letzten kräftigen Gravitationswellen-Schub aussenden. Dann werden wohl auch Empfänger auf der Erde - falls vorhanden - diese Pulse registrieren.
Nicht nur die Relativitätstheorie, sondern auch die Kernphysik kann aus den Beobachtungen der Neutronensterne Gewinn ziehen. Die sehr präzisen Messungen von Masse und Radius sowie der Oberflächentemperatur, die in den letzten Jahren vor allem der Röntgensatellit ROSAT beobachtet hat, erweitern die Kenntnisse der Physiker über die Eigenschaften von Materie unter Extrembedingungen. Neutronensterne sind gute Testobjekte dafür, denn in ihrem Inneren kann die Dichte bis zum zehnfachen der Dichte in Atomkernen ansteigen. Nirgends auf der Erde kann man das Zusammenspiel von Gravitationskollaps und kernphysikalischen Prozessen so verfolgen wie in den Neutronensternen.
Energiegiganten
Das Ende eines Doppelstern-Pulsars könnte auch durch einen Gammastrahlen-Blitz angezeigt werden. Dies sind für einige Sekunden scheinende energiereiche Quellen, meist in weit entfernten Galaxien. Sie verpulvern in einem Ausbruch von wenigen Sekunden eine Energie, die der vollständigen Umwandlung einer Masse wie der des Planeten Jupiter in Strahlung entspricht. Entdeckt wurden diese Gammablitze vor etwa 30 Jahren als Nebenprodukt der Satellitenüberwachung von Atombombentests.
Mittlerweile registriert das speziell für diesen Zweck gebaute ,,Gamma Ray Observatory"  im Mittel zwei Blitze pro Tag. Gammablitze sind wohl derzeit das am lebhaftesten diskutierte Thema in der Astronomie, weil sie ziemlich rätselhaft sind. Die Blitze künden sicher von extremen Prozessen - vermutlich begleiten sie die Verschmelzung zweier Neutronensterne. Vielleicht zeigt sich aber auch eine plötzlich wirkende magnetische Bremse, die einen Pulsar schlagartig verlangsamt und seine Rotationsenergie in Strahlung verwandelt. Die Theoretiker tüfteln noch an ihren Modellen.
Materie, die nicht leuchtet
Auch normale Sterne wie unsere Sonne können als teilchenphysikalisches Labor dienen, vor allem was die rätselhafte Dunkle Materie angeht. Die Kosmologen vermuten, daß der größte Teil der Masse im Universum in nichtleuchtender Form existiert. Sehr viele theoretische Kandidaten aus der Elementarteilchentheorie kommen hierfür in Frage, nachgewiesen hat man aber noch keinen einzigen.
Es gibt aber eine amüsante, sozusagen platonische Experimentalphysik, die sich mit den Auswirkungen der hypothetischen Teilchen befaßt. Angenommen, es gibt Partikel der Dunklen Materie. Treibt man dieses Gedankenexperiment weiter, so lassen sich daraus die Massen der hypothetischen Teilchen abschätzen sowie Kopplungen zwischen ihnen. Den Physikern werden dadurch möglicherweise teure Experimente erspart.
Eine ganz neue Art von Astronomie wird in den unterirdischen Wassertanks im japanischen Kamioka betrieben. Dort beobachtet man Neutrinos, die beim radioaktiven Zerfall, bei den Fusionsreaktionen im Inneren der Sterne, in Supernovae und in der Erdatmosphäre beim Auftreffen kosmischer Strahlung entstehen. Die Astronomen fahren in tiefe Bergwerke, registrieren dort die Lichtblitze seltener Neutrinoreaktionen in ihren Tanks und  überprüfen damit die korrekte Arbeitsweise der Sonne in ihrem innersten Kern. Vor kurzem gelang tatsächlich ein Blick auf die flüchtigen Teilchen. Diese besitzen demnach eine Masse, weshalb man das Standardmodell der Elementarteilchen erweitern muß.
Einsteins Brille
Seit einigen Jahren erforschen die Astronomen, wie kosmische Massenansammlungen, Galaxienhaufen etwa, auf das Licht ferner Objekte wirken. Gemäß Einsteins Gravitationstheorie werden die Strahlen abgelenkt, das Bild er- scheint verzerrt. Ferne Galaxien sehen dann aus wie kleine Ellipsen oder Teile eines dünnen Kreisbogens. Aus den Verzerrungen läßt sich die Massenverteilung der Gravitationslinse bestimmen. Eine Forschergruppe um Peter Schneider am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching hat in einer Reihe von Galaxienhaufen dunkle Materie gefunden, deren Masse mehr als das Zehnfache der leuchtenden Masse ausmacht.
Das Licht wird häufig auch verstärkt, und damit erscheint die ferne Galaxie zwar verzerrt, aber deutlicher als im normalen Teleskop. Die Natur hat hier sozusagen Gravitationsteleskope aufgebaut, auch ,,Einsteins Brille" genannt. Einsteins Brille bringt ferne Bereiche des Kosmos näher. Ohne teure Investitionen lassen sich lichtschwache Objekte untersuchen, sofern die Wissenschaftler ,die Verzerrungen korrigieren können.
Kosmologen verstehen das gesamte Universum als Labor, in dem die Entwicklung vom Urknall bis zu komplexen Gebilden wie Galaxien und Sternen verlief. Viele Details sind noch unverstanden, doch letztlich können die Vorgänge Auskunft  über die Naturgesetze geben. Immerhin gibt der energiereiche Frühzustand des Kosmos allen Elementarteilchentheorien die Chance, sich dort zu bewähren - freilich ein Labor ohne Beobachter. Die Astronomen können dann versuchen, die fossilen Reste dieser Hochenergiereaktionen zu beobachten. Das Fazit kann deshalb nur lauten: Baut Teleskope und Detektoren, denn die besten Labors für die Physiker liegen im Weltall bereit.

GERHARD BÖRNER
Prof. Dr. Gerhard Börner ist Kosmologe am Max-Planck-Institut für Astrophysik.
Informationen zur Kosmologie:   www.mpa-garching.mpg.de
www.rnpa-garching.mpg.de/-msb       (insbesondere Gravitationslmsen)

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   WISSENSCHAFT KOMPAKT -  GENTECHNIK
 ©DIE WELT, 15.3.1999
Hawking sagt neuen Menschen voraus
Der britische Physiker Stephen Hawking ist davon überzeugt, daß sich der Mensch im nächsten Jahrtausend durch die Veränderung seines Genmaterials neu erschaffen wird. Der Mensch werde dann wahrscheinlich völlig anders aussehen als heute, sagte Hawking in Cambridge. "Viele Leute werden sagen, daß genetische Versuche an Menschen verboten werden sollten, aber ich bezweifle, daß wir fähig sein werden, das zu verhindern", sagte der Physiker. Die Veränderung des Erbguts von Pflanzen und Tieren sei schon jetzt erlaubt, und irgendwann würden auch die Menschen an die Reihe kommen. Hawking weiter: "Ich sage nicht, daß das genetische Verändern des Menschen eine gute Sache ist. Ich sage nur, daß es im nächsten Jahrtausend geschehen wird - ob es uns nun gefällt oder nicht."
 dpa

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 Wem gehört die Zukunft?
Die Auswirkungen von Gen- und Computertechnik lassen alle Science-fiction-Phantasien hinter sich
Von Stephen Hawking
Fast alle Zukunftsvisionen, die uns dargeboten werden, sind im wesentlichen statisch. Meistens skizzieren sie eine Gesellschaft, die in den Wissenschaften, in Technik und politischer Organisation der unsrigen weit voraus ist. Gewaltige Veränderungen, Spannungen und Umstürze müssen irgendwann in der Zeit zwischen dem Heute und dem Später stattgefunden haben. Und immer dann, wenn wir die Zukunft zu sehen bekommen, sollen Wissenschaft, Technik und Gesellschaftsordnung schon perfekt sein.

Ich möchte diese Vorstellung in Frage stellen und anzweifeln, ob wir jemals einen stabilen Endzustand von Wissenschaft und Technik erreichen werden. Zu keinem Zeitpunkt während der etwa 10 000 Jahre seit der letzten Eiszeit hat sich die Menschheit in einem Zustand gleichbleibenden Wissens und unveränderter Technik befunden. Nirgendwo ist das einleuchtender als auf dem Gebiet der Genetik.

Unser Körper ist das bei weitem komplexeste System, das wir kennen. Das Leben scheint seinen Ursprung in den Ur-Ozeanen zu haben, die vor vier Milliarden Jahren die Erde bedeckten. Wie Leben genau zustande kam, wissen wir nicht. Möglicherweise führten zufällige Zusammenstöße von Atomen zur Bildung von Makromolekülen, die sich selbst reproduzieren und in komplizierteren Strukturen organisieren konnten.

Wir wissen lediglich, daß das hochkomplexe Molekül DNS schon vor dreieinhalb Milliarden Jahren entstand. Die DNS ist die Basis für alles Leben auf der Erde. Sie besitzt die Struktur einer Doppelhelix, die Francis Crick und James Watson 1953 im Cavendish Labor in Cambridge entdeckten. Die beiden Stränge der Doppelhelix sind, wie die Stufen einer Wendeltreppe, durch Paare von Nukleinsäuren verbunden. Die Abfolge der verschiedenen Nukleinsäuren entlang der Wendeltreppe legt die genetische Information fest. Sie ermöglicht dem DNS-Molekül, einen Organismus um sich herum aufzubauen und sich zu vervielfältigen.

Während die DNS von sich selbst Kopien anfertigte, gab es gelegentlich Fehler in der Anordnung der Nukleinsäuren entlang der Spirale. In den meisten Fällen führten die Kopierfehler dazu, daß die DNS sich nicht mehr reproduzieren konnte. Solche genetischen Fehler, also Mutationen, starben aus. Aber in einigen Fällen geschah etwas anderes. Die Mutation erhöhte die Überlebenschancen der DNS. Die natürliche Auswahl von Mutationen wurde 1857 zum ersten Mal von einem anderen Cambridge-Absolventen, Charles Darwin, beschrieben, obwohl er ihren genauen Mechanismus nicht kannte. So erhöhte sich allmählich der Informationsgehalt in der Anordung der Nukleinsäuren und nahm an Komplexität zu.

Da die biologische Evolution im Grunde einen zufälligen Spaziergang durch die Welt genetischer Möglichkeiten darstellt, ist sie sehr langsam. Die Komplexität, beziehungsweise die Dichte der Informations-Bits", die in der DNS enthalten sind, kann ungefähr durch die Zahl der Nukleinsäuren im Molekül angegeben werden. Jedes Bit kann man sich als Antwort auf eine Entscheidungsfrage vorstellen. In den ersten zwei Milliarden Jahren muß die Zuwachsrate an Komplexität bei schätzungsweise einem Bit pro 100 Jahre gelegen haben. Diese Rate stieg innerhalb der letzten paar Millionen Jahre schrittweise dann auf etwa ein Bit pro Jahr an.

Doch nun stehen wir am Anfang einer neuen Ära, in der wir in der Lage sein werden, die Komplexität unserer DNS zu erhöhen, ohne auf den langsamen Prozeß der biologischen Evolution warten zu müssen. In den letzten 10 000 Jahren hat es in der menschlichen DNS keine Veränderung von Belang gegeben. Aber es ist wahrscheinlich, daß wir sie im nächsten Jahrtausend vollkommen umstrukturieren können.

Selbstverständlich werden viele Menschen ein Verbot der Manipulation am menschlichen Genom fordern, aber ich bezweifle stark, daß sie es verhindern können. Genmanipulation an Pflanzen und Tieren wird aus wirtschaftlichen Gründen erlaubt werden, und zwangsläufig wird es irgend jemand auch am Menschen versuchen. Vorausgesetzt wir schaffen uns keine totalitäre Weltordnung, wird einer irgendwann irgendwo optimierte Menschen erschaffen.

Gewiß wird die Entwicklung derart optimierter Menschen große soziale und politische Probleme mit sich bringen, vor allem im Verhältnis zu nichtoptimierten Menschen. Ich befürworte die Genmanipulation am Menschen nicht. Ich sage nur, daß sie in den kommenden 1000 Jahren wahrscheinlich wird ­ ob wir wollen oder nicht. Deswegen glaube ich auch nicht an Science-fiction wie in "Star Trek", wo Menschen in 400 Jahren im wesentlichen genauso aussehen und sich genauso verhalten wie heute. Ich bin davon überzeugt, die menschliche DNS wird ihre Komplexität ziemlich rasant steigern.

In gewisser Hinsicht muß die Menschheit ihre geistigen und physischen Fähigkeiten verbessern, wenn sie sich mit einer zunehmend komplexen Welt um sie herum auseinandersetzen will und wenn sie sich neuen Herausforderungen wie etwa der Raumfahrt stellen möchte. Wenn biologische Systeme ihren Vorsprung vor elektronischen behalten wollen, müssen diese ohnehin ihre Komplexität erhöhen.

Momentan haben Computer noch einen Vorteil in der Geschwindigkeit, sie zeigen allerdings keine Anzeichen von Intelligenz. Das ist nicht weiter überraschend, denn unsere Computer von heute sind weniger komplex als das Hirn eines Regenwurms, eine Spezies, die bisher nicht wegen ihrer Geisteskraft gerühmt wird.

Computer folgen allerdings Moores Gesetz, das besagt, die Geschwindigkeit und Komplexität von Computern werde sich alle 18 Monate verdoppeln. Das kann offensichtlich nicht unendlich so weitergehen. Es wird sich aber so lange fortsetzen, bis Computer eine dem menschlichen Hirn ähnliche Komplexität erreicht haben. Manche meinen, daß Rechner niemals "wahre" Intelligenz besitzen werden, was immer das auch sein mag. Doch ich denke, wenn sehr komplizierte chemische Moleküle im Menschen auf eine Weise funktionieren können, die sie intelligent macht, dann können gleichermaßen komplizierte elektronische Stromkreise auch Computer veranlassen, sich intelligent zu verhalten. Und sobald sie intelligent sind, können sie voraussichtlich selbst Computer konstruieren, die noch größere Komplexität und Intelligenz aufweisen.

Aus diesem Grund traue ich der Science-fiction-Phantasie einer fortgeschrittenen, aber unveränderlichen Zukunft nicht. Statt dessen erwarte ich einen rasanten Zuwachs an Komplexität, sowohl in der biologischen als auch in der elektronischen Sphäre. Wenig davon wird in den nächsten 100 Jahren geschehen, und das ist immerhin alles, was man seriös voraussagen kann. Aber am Ende des nächsten Jahrtausends ­ sofern die Menschheit bis dorthin gelangt ­ werden die Veränderungen fundamental sein.

Stephen Hawking ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Cambridge.
Christian Benne übersetzte seinen Text aus dem Englischen.

© Los Angeles Times Syndicate

© DIE WELT, 20.3.1999

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Blick in den kosmischen Kreißsaal
         VON RAINER KAYSER

München - am südlichen Himmel, zwischen den leuchtschwachen Sternchen des von unseren Breiten aus nicht sichtbaren Sternbildes Chamäleon, liegt ein für die Astronomen hochinteressanter Komplex aus Gas- und Staubwolken. Dieses etwa 450 Lichtjahre von uns entfernte Gebilde namens Chamaeleon I, das rund einmillionmal größer als unser Sonnensystem ist, gilt nämlich als kosmischer Kreißsaal, in dem sich die Entstehung von Sternen gleichsam im Zeitraffer beobachten läßt.
Die Natur bietet hier den Forschern junge Sterne aller Entwicklungsstadien. Auf dem Foto, das am Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte Eso aufgenommen wurde, ist ein kleiner Ausschnitt aus dem Randbereich von Chamaeleon I zu sehen. Die extrem heißen, jungen Sterne regen mit ihrer energiereichen Strahlung die umgebende Materie - Überreste der Sternengeburt -  zum Leuchten an. Die Aufnahmen entstanden in der Testphase des ersten der vier geplanten 8-Meter-Teleskope des VLT, die nun zu Ende geht. Am 1. April soll das Instrument offiziell die wissenschaftliche Arbeit aufnehmen. Im Jahr 2001 soll die gesamte Anlage fertiggestellt sein.
Weitere lnformationen: http://www.eso.org

 ©DIE WELT 20.03.1999

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  Gott -  kein Patriarch mit weißem Bart
Papst Johannes Paul II. korrigiert traditionelle Vorstellungen und löst damit Diskussionen aus
      VON ROSEMARIE BORNGÄSSER            © DIE WELT
Rom - "Stellt euch Gottvater nicht als einen alten Patriarchen mit weißem, langem Bart vor", sagte Papst Johannes Paul II. in seiner General-Audienz vor Hunderten von Pilgern. Er wies darauf hin, daß die Gestalt Gottes im Bewußtsein vieler Christen zu sehr ,,vereinfacht und vermenschlicht" worden sei. Es sei sehr bequem zu denken, daß Gottvater alle menschlichen Züge verkörpere, wie es uns die Künstler durch die Jahrhunderte in ihren Werken dargestellt haben, angefangen von Michelangelo mit seinem Meisterwerk in der Sixtinischen Kapelle. Schon bei der Einweihung der restaurierten Kapelle vor fünf Jahren hatte der Papst Kritik am dargestellten Bild Gottes geübt, der dort wie ein Titan mit prächtigem Haarvolumen und gewaltigem Bart am Himmel erscheint. Gottvater wirkt wie ein mächtiger ehrfurchtgebietender Richter; der über der Schöpfung schwebt und mit einem Fingerzeig die Menschheit schafft. Wenn die Christen sich Gott so menschlich personifiziert vorstellten, würden sie die Allmacht des universalen Gottes weit unterschätzen, so der Papst. Denn in diesem Fall zögen sie ihn hinab auf die Ebene ihrer persönlichen menschlichen Schwächen. Das Geheimnis der Göttlichkeit würde mit Zügen betrachtet, die sich vor allem in der realen Welt widerspiegeln. Der Papst erinnerte in diesem Zusammenhang an Homers Odysee, wo man später das Bild von Zeus mit Gott gleichgesetzt habe. Er sagte, nur in Christus, im Sohn Gottes, symbolisierten sich die menschlichen Züge. Weder im Judentum noch im Islam habe man Gott ,,menschlich idealisiert" Johannes Paul II. sagte allerdings nicht direkt, daß in der Natur Gottes auch das Weibliche miteinbezogen sei. Dies hatte ,,Papa Luciani", der 33-Tage-Papst Johannes Paul I., im Jahre 1978 klar formuliert. Er sprach von "Gott, der mehr Mutter ist". Die jüngsten Äußerungen des Papstes lösten erneut Diskussionen aus. Besonders bestimmte Kreise von weiblichen Theologen sehen sich nun bestätigt. Sie erkannten Gott den Allmächtigen immer ohne Geschlechtsbezüge an; für sie ist er sowohl Mann wie Frau. Einige sehen in den Äußerungen des Papstes eine Annäherung an die Frauen-Ordination. Und von manchen werden die Worte des Papstes gar als "Offensive gegen den Patriarchialismus" interpretiert. In diesem Zusammenhang wird an den im Februar anstehenden Vatikan Besuch des anglikanischen Erzbischofs von Canterbury, George Carey, erinnert. Streitpunkt zwischen katholischer und anglikanischer Kirche ist vor allem die Frauen-Ordination.

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Die Zeit kann nicht rückwärts laufen
Ein Experiment am Teilchenforschungszentrum Cern in Genf klärt eine alte Frage
VON ANTONIA RÖTGER
UND RAINER KAYSER
 Genf - Eine Vase fällt zu Boden und zerspringt in unzählige Splitter Ob man den Film von diesem Vorgang nun vorwärts oder rückwärts abspielt - ,jeder Zuschauer weiß: Scherben, die sich spontan in die Luft erheben und als Vase auf einem Tisch Platz nehmen, gibt es nicht. In der Welt der Elementarteilchen galten bislang jedoch alle Vorgänge prinzipiell als umkehrbar. Die Naturgesetze erschienen den Physikern "zeitsymmetrisch".
        Nach 30 Jahren intensiver Forschungsarbeit ist es Wissenschaftlern am Europäischen Teilchenforschungszentrum Cern in Genf erstmals gelungen, Elementarteilchen zu beobachten, bei denen die Zeitumkehrung einen Unterschied macht: Die Forscher ließen Antiprotonen mit Wasserstoffkernen (Protonen) zusammenstoßen, um dabei sogenannte Kaonen und ihre Antiteilchen zu erzeugen.
      Kaonen wandeln sich im Lauf der Zeit in Antikaonen um, und umgekehrt werden aus Antikaonen allmählich Kaonen. Tatsächlich wiesen die riesigen Detektoren aber nach, daß sich mehr Antikaonen in Kaonen umgewandelt hatten als umgekehrt. Damit war dieser Vorgang nicht mehr symmetrisch - die Zeitrichtung, in der er ablaufen mußte, war also vorgegeben.
         Die Verletzung der Zeitsymmetrie bei den Kaonen paßt zu einer anderen Symmetrieverletzung von Ladung (C) und Parität (P), die bereits 1964 entdeckt wurde. Damals fanden die Amerikaner Val Fitch und James Cronin, daß der Zerfall von eben auch den besagten Kaonen gegen die sogenannte CP-Invarianz verstößt. Bereits Ende der fünfziger. Jahre waren amerikanische Physiker auf erstaunliche Prozesse beim radioaktiven Zerfall von Atomkernen gestoßen, wonach deren räumlich gespiegelte Ebenbilder in der Natur nicht vorkommen.
       Gemeinsam heben sich die verschiedenen Symmetriebrechungen aber auf, so daß die sogenannte CPT-Symmetrie aus Ladung, Parität und Zeit (T) insgesamt erhalten bleibt. Die beobachteten Verletzungen einzelner Symmetrien könnten wohl eine Erklärung für das Mysterium sein, daß zu Anfang des Universums ein leichter Überschuß an Materie übrigblieb, aus der schließlich Galaxien, Sterne, Planeten und auch Lebewesen entstanden.
       Die Naturgesetze sind also nicht zeitsymmetrisch - Vergangenheit und Zukunft unterscheiden sich auch in der Welt der Elementarteilchen. Und auch der Traum von den Reisen in die Vergangenheit ist nur endgültig ausgeträumt. Noch vor 50 Jahren glaubten die Physiker hingegen, sämtliche Naturgesetze seien zeitsymmetrisch und blieben daher auch bei einer Umkehr der Zeitrichtung unverändert.
       Das sogenannte CPT-Theorem scheint aber exakt gültig zu sein. In Experimenten konnte es auf ein drucksvolle 18 Stellen hinter der Komma überprüft werden. Es gehört damit zu den am besten abgesicherten Erkenntnissen der Physik. Alle modernen Theorien zu Beschreibung der grundlegende Naturkräfte unter dem Dach einer gemeinsamen Theorie bauen auf dieser Symmetrie auf.
       Doch warum es in der Natur überhaupt gebrochene Symmetrien gibt, konnten die Wissenschaftler bis heute nicht entschlüsseln.
© DIE WELT

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Es kommt oft alles halb so schlimm
Menschen überschätzen die Härte von Schicksalsschlägen ­ Das psychologische Immunsystem" wird ignoriert
Von Rolf Degen
Bonn ­ Stellen Sie sich vor, Sie verlieren eine geliebte Person durch einen Todesfall. Sie tragen bei einem Autounfall eine Querschnittslähmung davon. Oder Sie werden entlassen, weil Ihr Arbeitgeber die Firma schließt. Wenn Sie sich gerade Ihr Elend ausmalen, tragen Sie wahrscheinlich zu dick schwarze Farbe auf. Nach neuesten Forschungsergebnissen überschätzen die meisten Menschen nämlich den Kummer, den sie nach Schicksalsschlägen leiden müssen.
Die Erwartungen sind oft falsch", gibt eine Forschergruppe um den Harvard-Psychologen Daniel T. Gilbert im Journal of Personality and Social Psychology" zu bedenken. Nach der These der Wissenschaftler lassen wir sehr stark außer acht, daß unser seelischer Apparat über außerordentlich wirkungsvolle psychohygienische Mechanismen verfügt. Diese entschärfen bittere, peinliche oder schmerzhafte Erfahrungen und machen sie damit unschädlich.
Diese Abwehrmechanismen sind für den Geist das gleiche, was das Immunsystem für den Körper ist", meint Gilbert. Wenn uns etwas Negatives widerfährt, färbt das psychologische Immunsystem" die Situation über Verdrängungsmechanismen mit Illusionen und Rationalisierungen schön. Alles, was Schatten wirft, wird heruntergespielt. Schon nach kurzer Zeit wird eine dunkle Realität durch eine rosa Brille verbrämt.
Da sie blind für die Arbeit ihres seelischen Schutzengels" sind, bauschen Menschen die Folgen von Schicksalsschlägen auf, wenn sie in die Zukunft sehen. Auf der anderen Seite können sie die emotionalen Konsequenzen angenehmer Erfahrungen ziemlich realistisch abschätzen, meinen die Autoren der Studie. Beweise für ihre These haben sie mit einer Serie von Untersuchungen an über 1000 Probanden erbracht.
In einer davon befragte das Team rund 570 Personen. Ein Teil der Probanden war kurz davor eine neue Partnerschaft eingegangen, der andere Teil hatte seinen Partner verloren. Die Betreffenden sollten angeben, wie glücklich beziehungsweise unglücklich sie zwei Monate nach dem Ereignis waren. Die Ergebnisse wurden mit Aussagen von Menschen verglichen, die keine dieser Erfahrungen hinter sich hatten. Von ihnen wollten die Forscher wissen, wie sie sich in einer vergleichbaren Situation fühlen würden.
Das Ergebnis war eindeutig: Die Befragten glaubten, daß sie viel länger und härter an dem Verlust zu knabbern" haben würden, als den Angaben der wirklich Verlassenen zu entnehmen war. Dagegen sagten sie das Glück, das ihnen eine neue romantische Partnerschaft bereiten würde, mit großer Präzision voraus.
Das gleiche Muster der Untersuchung haben die Psychologen in verschiedenen anderen Lebensbereichen wiederholt. In einer Studie befragten sie beispielsweise Wähler beim Verlassen des Wahllokals, wie glücklich respektive unglücklich sie einen Monat nach dem Sieg oder der Niederlage ihrer Partei sein würden. Vier Wochen später wurde die Vorhersage auf die Probe gestellt. Das Fazit: Prognosen über die angenehmen Gefühle nach einem Wahlsieg entsprachen wieder recht genau dem, was hinterher tatsächlich eintrat. Aber die Probanden hatten wieder einmal massiv überschätzt, wie sehr sie unter einer Niederlage ihrer Partei leiden würden.
Wenn etwas Schlechtes passiert, bewegen wir die Dinge im Kopf so lange hin und her, bis alles nicht mehr ganz so schlimm erscheint, so das Autorenteam. Diese Abwehr muß offenbar unbewußt ablaufen. Denn schließlich ist es eine Form von Selbstbetrug. Und Selbstbetrug funktioniert nicht richtig, wenn das kritische Bewußtsein dabei zuschaut. Positive Empfindungen läßt der Zensor" in unserem Kopf dagegen unangetastet. Dies hängt damit zusammen, daß angenehme Gefühle die größte Freude bereiten, wenn man sie spontan und unmittelbar genießt.
Die verborgene seelische Polsterung" in unserem Kopf hat einen interessanten Nebeneffekt: Wenn wir im voraus immer wüßten, wie gut wir am Ende mit unangenehmen Erfahrungen zurechtkommen, würden wir uns wahrscheinlich weniger Mühe geben, sie zu vermeiden.
Weitere Informationen: http://www.dgps.de/
© DIE WELT, 19.4.1999

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Ein Computer, der alles verändern wird
Der Superrechner des nächsten Jahrtausends ist atombetrieben und unvorstellbar schnell
Von Bernd Eitel
New York ­ Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Oxford University arbeiten an einer neuen Computergeneration, die eine Revolution in der elektronischen Datenverarbeitung auslösen kann. Die Arbeit, die in heutigen Geräten von Millionen kleinster Siliziumtransistoren verrichtet wird, könnte künftig von Atomen übernommen werden. Damit wäre der Personal Computer (PC) von heute ein Auslaufmodell ­ die Zukunft gehört dem Quantencomputer. Einen Prototypen gibt es schon. Er kostet eine Million Dollar. Der Quantencomputer übertrifft die Geschwindigkeit eines Pentium-III-Prozessors um das Milliardenfache. Die gesamte Datenmenge des Internet könnte von einem Quantencomputer in Sekundenbruchteilen durchsucht werden. Durch seine Geschwindigkeit wäre kein Sicherheitscode des CIA oder der Nasa mehr sicher.
Quantenphysiker wissen schon seit einiger Zeit, daß die Atome sich ständig in Rotation befinden. Der sogenannte Spin in den kleinen Teilchen kann entweder rechts- oder linksherum sein. Die Forscher hatten die Idee, auf der Grundlage der zwei Spins einen Computercode zu entwickeln. Was in der Theorie überzeugend klingt, hat jetzt Aussicht, in Serie zu gehen.

Die amerikanische Regierung hat zusammen mit den Computergiganten IBM und Hewlett Packard am Los Alamos National Laboratory eines der am höchsten subventionierten Computerlabors eingerichtet. Das Potential der neuen Technologie ist enorm. Die Welt der Computer würde sich komplett verändern", sagt Stan Williams, Direktor der Hewlett-Packard-Labors. Was in herkömmlichen PCs der Mikrochip leistet, übernimmt im Quantencomputer eine Flüssigkeit. Eingespannt in einem Magnetfeld, können die Atome Rechenaufgaben lösen. Die Natur kann von sich aus rechnen", berichtet MIT-Wissenschaftler Neil Gershenfeld, der mit dem IBM-Forscher Isaac Chuang den leistungsstärksten Quantencomputer baute. Wir haben nur noch nicht die richtigen Fragen gestellt." Eine Schwierigkeit liegt noch darin, daß die Atome nur dann als Rechner eingesetzt werden können, wenn sie sich völlig isoliert im Magnetfeld bewegen. Gleichzeitig muß es möglich sein, daß der Benutzer des Computers mit dem Rechner interagiert. Wissenschaftler arbeiten an mathematischen Algorithmen, wie dieses Problem überwunden werden kann. In etwa 30 Jahren sollen die Quantencomputer ausgereift sein. Chiphersteller sind schon jetzt interessiert. Je früher sie in die Quantentechnologie investieren, desto größer der Marktvorteil in der Zukunft.

© DIE WELT online
Channel: Webwelt
Ressort: Hardware
Erscheinungsdatum: 16. 07. 1999
URL: http://www.welt.de/daten/1999/07/16/0716nh121633.htx

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"In 30 Jahren verschmelzen wir mit Maschinen"

Berlin ­ Der Computerwissenschaftler und Autor des Buches "Homo sApiens", Ray Kurzweil, glaubt, daß sich die Technologie der Neuroimplantate sehr schnell entwickeln wird. In 30 Jahren könne mit einer Verschmelzung von Mensch und Maschine gerechnet werden.

"In den nächsten 30 Jahren werden wir mit immer schnelleren Computern ein Gehirn schließlich komplett scannen können. Dann haben wir eine Datenbank von allen Zellen und allen Verbindungen, die Wissen und Gedächtnis repräsentieren. Diese Ergebnisse können wir Schritt für Schritt auf Maschinen übertragen, und schließlich werden unsere Erfindungen die Grenze zur Intelligenz überschreiten. Maschinen werden so zu Meistern allen menschlichen Wissens. Sie werden eines Tages alles gelesen, begriffen und miteinander geteilt haben ­ alle Bücher und Zeitschriften, jeden Film, alle Datenbanken. Und diese Maschinen werden daraus neues Wissen produzieren und eigene Ideen und Meinungen entwickeln. Die Evolution von Intelligenz wird zur Sache von Upload und Download", meint Kurzweil im Interview mit der Zeitschrift "KonrAd". "Die Computer, von denen ich rede, werden schon in zehn Jahren winzig klein sein. Dann gibt es keine Kabel und Tastaturen mehr, diese Computer werden per Sprache gesteuert. Es wird sie überall geben, in Schmuck und Kleidung, 20 weitere Jahre später auch in unserem Körper und Gehirn. Neuroimplantate verbessern unser Gedächtnis und logische Fähigkeiten, heilen Krankheiten und verfeinern die Sinne. Dazu gibt es eine Revolution in der Biogenetik: Die Lebensdauer des Menschen verlängert sich; wir werden den Alterungsprozeß umkehren." ots

© DIE WELT online
Channel: Wissenschaft
 Ressort: Wissenschaft
 Erscheinungsdatum: 23. 07. 1999
URL: http://www.welt.de/daten/1999/07/23/0723ws122503.htx

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Starzacher soll Chef der Ruhrkohle werden

Kein Fachmann, sondern ein Laufbahn-Genosse soll Nachfolger von Gerhard Neipp als Chef der RAG Ruhrkohle AG werden. Wie gestern bekannt wurde, will der Aufsichtsrat der RAG bereits am 22. September den früheren hessischen Finanzminister Karl Starzacher (54) zum Vorstandsvorsitzenden wählen. Der Jurist, der zur Zeit SPD-Landtagsabgeordneter in Hessen ist, begann seine steile Parteikarriere als persönlicher Referent des früheren Ministerpräsidenten Albert Osswald, wurde dann Pressesprecher im Justizministerium in Wiesbaden und danach Präsident des hesssischen Landtags. Starzacher, der über keinerlei Erfahrung in der Industrie verfügt, wurde 1997 wegen Strafvereitelung im Amt und Anstiftung zu Urkundenunterdrückung angezeigt, weil er angeblich Banken vor der Steuerfahndung gewarnt haben soll. Das Verfahren wurde später von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Nach lnformationen der WELT sollen der frühere hessische Ministerpräsident Hans Eichel und IGBCE-Chef Hubertus Schmoldt bei der RAG die Wahl ihres Genossen Starzacher durchgesetzt haben.         breu.

©DIE WELT 3.9.1999

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In Europa droht ein dramatischer Mangel an Physikern

Krisensitzung der Physikalischen Gesellschaften in England - Schlechter Schulunterricht als Ursache des Problems - Image soll verbessert werden

Von Norbert Lossau London - Die Zahl der Physikstudenten ist in Deutschland im Laufe der neunziger Jahre dramatisch zurückgegangen. Nahmen im Jahr 1991 noch 10 000 Abiturienten ein Physikstudium an einer deutschen Hochschule auf, so sind es derzeit nur noch rund 5000.
Das schwindende Interesse an einem Physikstudium betrifft sowohl Diplom- als auch Lehramtskandidaten und ist keinesfalls auf Deutschland beschränkt. Auch in den anderen EU-Ländern sind die Zahlen der Physikstudenten sehr stark rückläufig.
"Wir befinden uns in einer Krise", gibt John Lewis, Vorstandsmitglied der Europäischen Physikalischen Gesellschaft (EPS) unumwunden zu. Nicht nur die Forschung an den Universitäten, wo bisweilen Professoren händeringend nach Diplomanden und Doktoranden suchen, ist betroffen, sondern auch die High-Tech- Industrie, die in den kommenden Jahren nicht den benötigten Nachwuchs an Physikern wird rekrutieren können. Ähnlich ungünstig sehen die Absolventenzahlen bei den Ingenieuren aus.
Bei Siemens, einem der größten Arbeitgeber für Physiker in Deutschland, macht man sich große Sorgen, den Bedarf an Fachkräften schon bald nicht mehr decken zu können. Allerdings werfen Kritiker dem Unternehmen vor, Anfang der neunziger Jahre aus dem damaligen Überangebot von Physikern kein ausreichendes Personalpolster angelegt zu haben.
Im britischen Worcestershire kamen Anfang September die Präsidenten von 20 nationalen europäischen Physikalischen Gesellschaften zusammen, um die Situation gemeinsam zu beraten. Sie machten verschiedene Gründe für die prekäre Lage aus.
Zum einen sei die Physikausbildung in den Schulen immer schlechter geworden, zum anderen habe in der Öffentlichkeit das Image der Physik gelitten. Diese Wissenschaft werde heute eher mit nuklearen Unglücken, denn mit Fortschrittstechnologien in Zusammenhang gebracht.
Für die schlechte Schulausbildung sei ein Mangel an qualifizierten Lehrern, die junge Menschen wirklich für die Physik begeistern könnten, verantwortlich. Und dies werde wiederum durch die schlechte Bezahlung der Physiklehrer bedingt, meint der EPS-Präsident Sir Arnold Wolfendale. In der Industrie könne ein Physiker schließlich sehr viel mehr verdienen, als in einem Klassenzimmer.
Um das Image der Physik zu verbessern, will die EPS nun eine Fernsehproduktion finanzieren, in der die Bedeutung der Physik für die moderne Gesellschaft deutlich gemacht werden soll. Auch an Videos für Schulkinder ist gedacht.

Weitere Informationen: http://www.dpg-physik.de/
© DIE WELT online

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Der Mond besteht nicht aus grünem Käse

Darwin und die Affen - Erziehung und Wissenschaft in Kansas

Essay von Salman Rushdie
Vor vielen Jahren nahm ich in der südindischen Stadt Cochin an einem "Welttag der Verständigung" teil, den der dortige Rotary Club veranstaltete. Hauptredner war ein antievolutionärer amerikanischer Kreationist, ein gewisser Duane T. Gish, der uns, gerüstet mit einer Diaschau, beweisen wollte, die Hauptschuld für die Misere der heutigen Jugend trügen die Schulsysteme dieser Welt, die sich auf die Verbreitung der äußerst schädlichen Lehren des alten Charles Darwin versteift hätten. Der heutigen Jugend werde beigebracht, dass sie vom Affen abstamme. Infolgedessen und verständlicherweise habe sich diese Jugend von der Gesellschaft abgewandt und sei in Depression verfallen. Daraus ergebe sich unweigerlich alles andere - ihre Perspektivlosigkeit, ihre Kriminalität, ihre Promiskuität, ihr Drogenmissbrauch.
Für mich war es interessant zu beobachten, wie das normalerweise überaus höfliche indische Publikum nach ein paar Minuten einfach nicht weiter zuhörte. Das Gemurmel im Saal wuchs langsam an, bis der Redner fast darin unterging. Nicht, dass sich Duane hierdurch hätte bremsen lassen. Wie ein Dinosaurier, der nicht mitbekommen hat, dass er ausgestorben ist, dröhnte er einfach weiter.
Diesen Sommer müssen Mr. Gish und seine Gesinnungsgenossen über das, was sie in der Zeitung lesen konnten, sehr fröhlich geworden sein. Die Entscheidung der Schulbehörde des US-Bundesstaates Kansas, die Evolution aus den Lehrplänen und den standardisierten Prüfungsbögen zu streichen, ist an sich schon ein klarer Beleg dafür, dass es mit der Wahrheit von Darwins großer Theorie so weit nicht her sein kann. Würde Charles Darwin im Jahre 1999 Kansas besuchen, müsste er zugeben, dass hier ein unübersehbarer Beweis dafür aufgetaucht ist, dass die natürliche Selektion nicht immer funktioniert, dass bisweilen auch der am schlechtesten Angepasste überlebt, kurzum, dass sich die Menschengattung durchaus wieder in Richtung jener die Jugend so sehr deprimierenden Affen entwickeln kann, statt von ihnen weg.
Darwin ist übrigens nicht das einzige Opfer. Auch der Urknall hat in der Gegend von Kansas anscheinend nie stattgefunden; allenfalls ist er eine von mehreren möglichen Theorien. So kommt es, dass wir jetzt in der einen Schale die allgemeine Relativitätstheorie, das Hubble-Teleskop und all das sorgfältig zusammengetragene, wenngleich unvollkommene Wissen der Menschheit haben und in der anderen das 1. Buch Mose, die Genesis, und beide Schalen halten sich die Waage, jedenfalls in Kansas. Gute Lehrer, das muss man sagen, sind über die Entscheidung ihrer Schulbehörde entsetzt. Mit dem Beginn des neuen akademischen Jahres wird der Kampf noch einmal losgehen, und vielleicht setzt sich die Vernunft gegen den Aberglauben ja noch durch. Aber angesehene Professoren weisen darauf hin, dass dieser Kampf inzwischen vielerorts im Gange ist und dass die Kreationisten auf der Siegerstraße sind. In Alabama zum Beispiel verkündet ein Aufkleber auf Schulbüchern in munterem Ton: Weil niemand dabei gewesen sei, als das Leben auf der Erde erschien, könnten wir auch niemals wissen, wie es wirklich gewesen sei.
All dies könnte ziemlich komisch sein, wenn es nicht so ernst wäre. Vielleicht freut es die amerikanischen Fundamentalisten zu erfahren, dass anderswo auf dieser Welt - etwa im pakistanischen Karachi - die scheuklappenbewehrten Buchstabengläubigen einer anderen Religion bis an die Zähne bewaffnet in Universitätsseminare eingedrungen sind und die Dozenten mit sofortiger Erschießung bedroht haben, falls sie von den strengen Anschauungen des Koran in Fragen der Wissenschaft (und allen anderen Fragen) auch nur im Geringsten abweichen sollten. Könnte es sein, dass bald auch die berüchtigte amerikanische Revolverkultur gegen das Wissen selbst zur Waffe greift? Zur Selbstgefälligkeit besteht allerdings auch für uns andere kein Anlass. Der Krieg gegen den religiösen Obskurantismus, den viele für längst gewonnen hielten, bricht heute an vielen Stellen wieder los. Gefasel jedweder Spielart liegt im Trend. Die Zugkraft der Dummheit nimmt zu. Junge Leute reden über Spiritualität wie über ein modisches Accessoire. Vielleicht stehen wir am Beginn eines neuen dunklen Zeitalters. Hohepriester und Inquisitoren geifern wieder im Zwielicht. Bannfluch und Verfolgung kommen von neuem in Gebrauch. Unterdessen geht die erfreuliche, beharrliche Suche nach Wissen und Erkenntnis weiter. Paradoxerweise hat es in der gesamten Wissenschaftsgeschichte nie ein so reiches, so revolutionäres, so goldenes Zeitalter gegeben wie das unsere. Im Großen erschließt uns die Forschung das Universum, im Kleinen löst sie die Rätsel des Lebens. Gewiss, dieses neue Wissen wirft neue moralische Probleme auf, aber die Unwissenheit von ehedem wird uns bei ihrer Lösung nicht helfen. Zu den schönen Zügen der Wissenschaft gehört auch, dass sie ihren provisorischen Charakter, ihre Unvollkommenheiten nicht verhehlt.
Diese Bereitschaft einzuräumen, dass auch die fundierteste Theorie immer nur eine Theorie ist - diese gelehrten Skrupel werden nun von Leuten ausgeschlachtet, die keine Skrupel kennen. Dass wir nicht alles wissen, bedeutet jedoch nicht, dass wir gar nichts wissen. Nicht allen Theorien kommt gleich großes Gewicht zu. Der Mond ist nicht aus grünem Käse, auch nicht der Mond über Kansas. Und die Genesis als Theorie ist Humbug. Wenn wir uns die Überfülle des neuen, neuzeitlichen Wissens, mit dem wir es zu tun haben, als einen Tornado denken, dann ist Oz die seltsame, neue Technicolorwelt, in der uns dieser Tornado schließlich absetzt - ein Land, aus dem es, weil das Leben eben kein Spielfilm ist, keinen Weg zurück gibt. Oder in den unvergesslichen Worten, die die kleine Dorothy Gale in "The Wizard of Oz" ("Der Zauberer von Oz") ihrem Hund zuflüstert: "Toto, irgendwas sagt mir, dass wir nicht mehr in Kansas sind." Man kann nur hinzufügen: Gott sei Dank, Baby, und Amen.

Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
© DIE WELT online 24.09.1999
Der einzige (veröffentlichte) Leserbrief zu diesem Aufsatz:
An die "Ursuppe" zu glauben fallt schwerer
Zu: "Der Mond besteht nicht aus grünem Käse"; WELT vom 15. September
Die unreifen Gedanken Rushdies zeugen von wenig Verstand, aber umso mehr von einer aggressiven Hetze gegen die Wahrheiten der Heiligen Schrift. Der Satz "Und die Genesis als Theorie ist Humbug" ist eine emotionale Luftblase, weil ihm keine wissenschaftlich fundierte Kritik an der von vielen renommierten Wissenschaftlern mit überzeugenden Forschungsergebnissen vertretenen Kreationstheorie vorangestellt ist, beziehungsweise folgt.
Wenn Rushdie von einem "Krieg gegen den religiösen Qbskurantismus" und von einer Zunahme der "Zugkraft der Dummheit" spricht, dann kann ich ihm nur zustimmen, denn er selbst ist das beste Beispiel für die Wahrheit dieser Aussage. Der Glaube an den Schöpfergott der Heiligen Schrift und die Anerkennung sowie Förderung der Wissenschaften schließen sich nicht gegenseitig aus, was die Ergebnisse der offenbar immer noch zu wenig bekannten Arbeiten der Schöpfungsforschung beweisen.
Nach dem Fortschritt der ,Wissenschaft im Bereich der Informatik steht fest, dass ein zentraler Faktor alles Lebendigen Information ist. Jedes komplexe lnformationssystem, wie es alle Lebewesen sind, bedarf auf Grund der Erfahrungsgrundsätze, die uns die Forschung im Bereich der Informatik vermittelt, einer geistigen Quelle. Die evolutionistischen Versuche einer rein mechanistischen Erklärung des Lebens übersehen diese Fakten und ignorieren damit nachprüfbare Grundsätze der Wissenschaft.
Für eine biblisch orientierte Wissenschaft tut sich ein weites Feld der Forschung auf. An verschiedenen Stellen lässt sich schon jetzt zeigen, dass die vom biblischen  Schöpfungszeugnis ausgehenden Deutungen wissenschaftlicher Erkenntnisse der Realität viel eher gerecht werden als Deutungsversuche im Rahmen der Evolutionslehre. Fest steht, dass die Evolutionslehre mit ihren kühnen Hypothesen wie zum Beispiel einer "Ursuppe" ein größeres Maß nicht beweisbarer Glaubensvoraussetzungen erfordert als die biblische Schöpfungslehre.

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 "Ostdeutsche Lehrer  verklären das DDR-System"

CDU-Abgeordnete erhebt schwere Vorwürfe und  fordert Konsequenzen für die Schulen

Potsdam  - Nach Ansicht der  CDU-Bundestagsabgeordneten Katherina Reiche  verklären zahlreiche ostdeutsche Lehrer die DDR und  lehnen das politische System der Bundesrepublik ab.  Diese Erfahrung habe sie bei etlichen Schulbesuchen  gemacht, sagte die Abgeordnete am Montag in ihrem  Wahlkreis Potsdam. Wahlforscher hätten zudem  herausgefunden, dass 70 bis 80 Prozent der Ost-Lehrer  PDS wählten.
Manche Pädagogen seien nicht in der Lage, das  heutige Verfassungssystem hinreichend zu erklären. "Es  gibt Abiturklassen, die nicht einmal den Unterschied von  Bundestag und Bundesrat kennen", sagte Frau Reiche.  Unternehmer würden von vielen Schülern als  "rücksichtslose, ausbeuterische" Kapitalisten  eingeschätzt, nicht aber als verantwortungsbewusste  Menschen, die Arbeitsplätze schafften.
Ein Potsdamer Jugendlicher sei von Mitschülern  "gemobbt" worden, weil er sich für die Junge Union (JU)  um einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung  beworben hatte. Er sei als Kandidat einer vermeintlich  "rechtsextremistischen Partei" regelrecht "an den  Pranger gestellt" worden.
Während des Kosovo-Kriegs hätten viele Schüler die  "imperialistische Nato" als Hauptschuldigen gesehen.  "Das Feindbild Nato ist fest in den Köpfen der jungen  Leute verankert", sagte Reiche.
Als Konsequenz aus diesen Vorfällen forderte die  CDU-Politikerin, mehr jüngere Lehrer für Fächer wie  Geschichte, Politische Bildung und Lebensgestaltung -  Ethik - Religionskunde (LER) einzustellen. Die  Schulbehörden müssten "sehr genau hingucken, wer  diese Fächer unterrichtet". Zudem müsse den Schülern  das System der sozialen Marktwirtschaft besser erklärt  werden. Hierzu könnte nach Reiches Ansicht ein  Unterrichtsfach Wirtschaft obligatorisch eingeführt  werden.                              ADN

© DIE WELT online 28.09.1999

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Roboter lernen mit Hilfe von genetischen Algorithmen
Mit genetischen Algorithmen wollen Ingenieure von Daimler-Chrysler die Steuerung von Robotern verbessern. Bisher benötigt ein Programmierer mehrere Tage, bis er einem Roboterarm zum Beispiel die Montage einer Windschutzscheibe in Fahrzeuge "beigebracht" hat. Mit dem neuen Programm aber stellt er nur noch bestimmte räumliche Daten und eine Strategie zur Verfügung. Mit dieser Hilfe entwickelt das Programm selbst verschiedene Lösungsvarianten, wählt daraus die besten aus und entwickelt diese weiter. Erneut werden die besten ausgewählt, so dass jede Folgegeneration besser als ihre Vorfahren ist. ln einem halben Tag hat das Programm die optimale Lösung gefunden, und die Windschutzscheibe wird perfekt eingepasst.
DIE WELT vom 17.1.00

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G und I - Zwei Buchstaben verändern die Welt
Die Gentechnologie und das Internet werden in Zukunft das Leben der Menschheit prägen

Von Norbert Lossau, Davos - Zwei Begriffe ziehen sich wie ein roter Faden durch das wissenschaftliche Tagungsprogramm des Weltwirtschaftsforums in Davos: Die G- und die I-Revolution. Die beiden Buchstaben stehen für "Genetic" und "Internet". Doch weil im Zeitalter der Beschleunigung selbst Abkürzungen noch weiter verkürzt werden, wird hier bisweilen nur noch von G oder I gesprochen.

Diese beiden Buchstaben werden, darüber sind sich alle Davosianer einig, die Welt dramatisch verändern - wirtschaftlich, politisch und ganz konkret im Leben jedes Einzelnen. In zahlreichen Foren wurden verschiedene Aspekte der G- und I-Revolution diskutiert.

Mit atemberaubender Geschwindigkeit wird die Informationstechnologie in den nächsten Jahrzehnten immer neue Anwendungen erschließen. Bis zum Jahr 2030, so prognostiziert William Joy, Gründer und Chef-Wissenschaftler der Firma Sun Microsystems, wird sich die Rechenleistung der Computer um den Faktor eine Million vergrößern. Neue Formen der Kommunikation werden damit möglich. Die heutigen Handys werden zu Computern mutieren, die überall einen mobilen und individuellen Zugriff auf verschieden Kommunikationsnetze ermöglichen. Im nächsten Schritt würden die Computersysteme gar im Hemdkragen oder im Brillengestell verschwinden.

Joy ist davon überzeugt, dass das Internet seine heutige Alleinstellung verlieren wird: "Es wird nur noch eines von vielen Netzen sein." Jede Form der Kommunikation werde sich in naher Zukunft in digitalen Netzwerken abspielen. Auf Informationen aller Art, alle Dienstleistungen, Tickets, Filme und Warenangebote hätten wir dann immer und überall Zugriff.

Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass das Leben der Menschen durch die I-Revolution immer transparenter wird. So standen denn folgerichtig auch Fragen des Datenschutzes auf der Tagesordnung in Davos.

Privatheit scheint demnach künftig etwas zu werden, was man sich entweder leisten will und kann oder eben nicht. So muss man sich beispielsweise Kryptoprogramme kaufen, wenn man seine E-Mail vor dem Zugriff unberechtigter Dritter schützen will, oder in Einkaufcentern höhere Preise bezahlen, wenn man keine Kundenkarte akzeptiert, mit der alle Einkäufe einer Person in einem Computer erfasst und ausgewertet werden können. Datenschutz wird es also in Zukunft wohl nicht mehr zum Nulltarif geben. Privatheit wird gleichsam zur Ware. Bemerkenswert dabei, dass sich US-Bürger offenbar deutlich weniger Sorgen machen als Europäer, dass ihre Privatsphäre nicht mehr ausreichend geschützt sein könnte.

Noch brisanter ist das Thema Datenschutz bei den Konsequenzen der G-Revolution. Noch in diesem Jahr wird das menschliche Genom vollständig kartiert sein. Nach und nach werden dann immer mehr gesundheitliche Risikofaktoren bestimmten Genen im Erbgut zugeordnet werden können. Solange eine Genanalyse noch ein aufwendiger Laborvorgang ist, können Datenschutzgesetze greifen und verhindern, dass sich etwa Arbeitgeber oder Versicherungen über genetische Risiken informieren. Doch spätestens, wenn einmal die Technologien bereit stehen, die jedermann eine Genanalyse ermöglicht, dürften die Dämme brechen.

Eine andere Konsequenz der G-Revolution wird eine deutlich längere Lebenserwartung sein, weil die Menschen dank Gentherapien, gentechnisch hergestellten Medikamenten und maßgeschneiderten Ersatzorganen deutlich älter werden könnten. Während sich die einen schon heute über neue Wachstumsmärkte freuen und zu entsprechenden Investments raten, weil ja mehr alte Menschen beispielsweise auch mehr Absatz von Faltencremes, mehr Kreuzfahrten oder mehr Tabletten bedeuten, sehen andere gewaltige ethische Probleme voraus. Schon heute stecken die Gesundheitssysteme so sehr in Finanznöten, dass offen darüber diskutiert wird, welche Behandlung noch in welchem Alter durchgeführt werden soll. Die neuen medizinischen, sicher nicht immer preiswerten Möglichkeiten werden endgültig dazu führen, dass ein besonders langes Leben zu einer Frage der Finanzierung wird.

© DIE WELT online - 31.01.2000

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Wir werden Gott ersetzen
Digitale Auferstehung: Die Zeit des Homo sapiens läuft ab. Unsere Nachfolger werden alterslos und aus Sicherheitskopien jederzeit wieder belebbar sein
Von Gundolf S. Freyermuth
Werden spirituelle Roboter im Jahr 2100 die Menschheit ersetzt haben?", lautete die Frage, die vor ein paar Wochen an einem sonnigen Samstagnachmittag in den Räumen der nordkalifornischen Stanford-Universität gestellt wurde. Statt der erwarteten paar Hundert Gäste lockte sie über 1000 Neugierige an. Denn obwohl es dem Kalender nach der 1. April war, handelte es sich bei der per E-Mail verschickten Einladung nicht um einen Scherz: "Wird das Herauf- und Herunterladen kompletter Gehirne auf das Web alltäglich werden? Werden unsere Kinder - oder vielleicht unsere Enkel - die letzte Generation sein, die Erfahrung mit der ,condition humaine' macht? Wird Unsterblichkeit die Sterblichkeit ablösen?"

Dergleichen - nämlich der Aufbruch der Menschheit zu neuen evolutionären Ufern - wird in der kalifornischen High-Tech-Szene seit einigen Jahren unter dem Schlagwort Posthumanismus intensiv diskutiert. Die Stanford-Veranstaltung zerrte diese Fragen nun aus der Geek- und Nerd-Subkultur von Silicon Valley ans akademische Licht, von den Rändern der Wissenschaft in ihr Zentrum.

Geleitet wurde die Diskussion von dem Erkenntnistheoretiker Douglas Hofstadter, Autor des Kultbuchs "Gödel, Escher, Bach". Auch die Liste der Redner war hochkarätig: Bill Joy, Mitbegründer der Computerfirma Sun, heute deren Chefwissenschaftler und zugleich Professor für Informatik und Psychologie; der High-Tech-Erfinder und Visionär Ray Kurzweil, Inhaber Dutzender bahnbrechender Patente; Hans Moravec, Begründer des Robotik-Instituts der Carnegie-Mellon-Universität und frühester Propagandist einer postbiologischen Zivilisation.

Moravec hat schon 1988, in seinem Buch "Mind Children", vom Niedergang der Menschheit als Gattung gesprochen - und zwar mit Begeisterung. Im vergangenen Jahr legte er mit "Robot: Mere Machine to Transcendent Mind" erneut ein viel beachtetes Buch vor. Am Homo sapiens, dem "kleingeistigen biologischen Eingeborenen des Planeten Erde", findet er wenig Bewahrenswertes: "Man nehme nur die Form des menschlichen Körpers. Er ist eindeutig nicht für einen Wissenschaftler gemacht. Die geistige Kapazität ist extrem limitiert. Und man lebt gerade lang genug, dass man anfangen kann herauszubekommen, wie die Dinge funktionieren, bevor das Gehirn zu verkalken beginnt. Dann stirbt man." Die Umwandlung der unzulänglichen biologischen in eine bessere digitale Lebensform steht seiner Ansicht nach direkt bevor: "Wir werden alle zu Robotern. Es ist so unvermeidlich wie wünschenswert. Die Evolution ist wichtiger als wir. Wir sind lediglich Teile im großen Ganzen."

Von der unaufhaltbaren Ablösung des Homo sapiens als Krone der Schöpfung geht auch Ray Kurzweil aus, dessen Buch "The Age of Spiritual Machines" (deutsch unter dem gegensinnig-absurden Titel: "Homo s@piens. Leben im 21. Jahrhundert") der Veranstaltung ihre rhetorische Frage vorgab. Kurzweil prophezeit, dass Computer bald die Menschheit an Intelligenz überholt haben werden. Um 2019 wird man ein Rechengehirn mit der Kapazität des menschlichen zum heutigen Preis eines durchschnittlichen PCs kaufen können. In Verbindung mit entwickelten Scan-Techniken, die unsere Gehirne Atom für Atom erfassen, wird dann möglich werden, was Kurzweil "reinstantiation" nennt: das Umspeichern biologischer Gehirne auf andere, dauerhaftere Medien, die Befreiung unserer Existenz aus dem tödlichen Gefängnis verderblicher Wetware.

Ralph Merkle, Miterfinder der Public-key-Kryptographie und Nanologe am Xerox Park in Palo Alto, stimmt ihm zu: "Gehirne sind materielle Objekte, sie unterliegen den Gesetzen der Physik. Diese Gesetze können in jedem Computer simuliert werden. Also kann auch das, was in deinem Gehirn geschieht, wenn wir die Prozesse nur genau analysieren können, in einem Computer simuliert werden." Wenn es keine unsterbliche Seele gibt, kein mystisches Überschuss-Ich, wenn wir Menschen also nicht mehr und nicht weniger als die Summe unserer Gehirnfunktionen sind, dann wird unser Bewusstseinsklon, der "Geist" auf dem Harddrive, im Chip oder in den Netzen, nicht anders können, als zu glauben, er sei wir - wir Dahingeblichenen, deren analoges Gehirn im Grab verrottet.

Derlei Prophezeiungen von der selbst gemachten High-Tech-Abschaffung des Homo sapiens sind nun so neu nicht. Seit mindestens einem Vierteljahrhundert kursieren sie in Kreisen avantgardistischer Denker und Forscher. Marshall McLuhan bereits prophezeite, die Potenzierung der körperlichen und intellektuellen Möglichkeiten durch moderne Technologie werde Stück für Stück eine Cyborg-Menschheit produzieren. Der Princeton-Physiker Freeman Dyson schrieb dann 1978: "Ich glaube nicht, dass die Menschheit noch lange eine einzelne Spezies sein wird." Und der Kosmologe Stephen Hawking stellte Anfang der neunziger Jahre fest: "Wir treten in ein neues Zeitalter ein, das Zeitalter der selbst gesteuerten Evolution." Einzelne würden eher früher als später Wege finden, sich selbst mit Hilfe von Computer- und Gentechnik zu alterslosen Supermenschen umzuformen, und diese Cyborgs würden dann die Erde übernehmen und die Besiedlung des Weltalls beginnen.

Dass der Fluss, der in Eden begann, ins All münden wird, dass also die Zukunft biologisch-digital produzierten Mischwesen gehört, meint ebenfalls der Oxforder Evolutionsbiologie Richard Dawkins. Und Sherry Turkle, Soziologin am MIT, hat die Anfänge längst beobachtet und analysiert: "Wir lernen, uns selbst als eingestöpselte Techno-Körper zu erkennen." Zweifelt so kaum jemand, der die aktuelle Explosion wissenschaftlichen Wissens aus eigener Anschauung kennt, an der Diagnose vom nahenden Evolutionssprung, so wachsen doch die Zweifel, wie diese Zukunft zu bewerten sei. Was Männer wie Moravec oder Kurzweil begeistert, erfüllt andere mit atavistischem Schrecken.

Für sie spricht bei der Veranstaltung Bill Joy. Gerade hat er in der Aprilausgabe der - ansonsten eher dem Fortschritt enthusiastisch zugeneigten - High-Tech-Postille "Wired" eine viel beachtete Tirade gegen den unkontrollierten wissenschaftlichen Fortschritt veröffentlicht. In ihr beschwört er die drohende Selbstvernichtung der Menschheit durch schwarze digitale Magie: "Wir haben Gott durch die Wissenschaft ersetzt." Ein Gedanke, der ebenso treffend ist, wie er die Szene kalt lässt - was Joy selbst einräumt. Denn Endzeitdenken und Untergangsangst sind dem Zeitgeist in den florierenden High-Tech-Enklaven der Westküste fremd. Hier badet man in Optimismus und Technikbegeisterung: Mit jedem Tag wird mehr zur Realität, was gestern noch Science-Fiction war. Zu beklagen ist höchstens die im Vergleich zum technischen Fortschritt relative Rückständigkeit unserer körperlichen Existenz. Der Wunsch wächst, Biologie nicht länger Schicksal sein zu lassen: Der willige Geist soll Gewalt über das schwache Fleisch erlangen.

Vordenker einer solchen Selbstevolutionierung unserer Spezies zu erst trans-, dann posthumanen Wesen sind seit Ende der achtziger Jahre die Extropianer. Begründet hat den lockeren Zusammenschluss von Digeratis, von High-Tech-Denkern und -Praktikern der Philosoph Max More. "Die Humanität, das Menschsein, ist nur eine Durchgangsphase auf dem Pfad der Evolution", sagt er: "Wir sind nicht der endgültige Höhepunkt in der Entwicklung der Natur. Es wird Zeit, dass wir unser Schicksal in die eigene Hand nehmen und unser Fortschreiten in die Transhumanität beschleunigen."

Angeregt wurde er zu diesem Gedanken nicht zuletzt durch Nietzsche-Lektüren. "Ich lehre euch den Übermenschen", ließ er vor 120 Jahren Zarathustra zum Volk sprechen. "Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?" Einiges, lautet die Antwort, jedenfalls in den letzten Jahren. Mehr Wissen, mehr Können, mehr Energien: die Dynamisierung aller Verhältnisse - eben Extropie, der Gegenbegriff zur Entropie, dem Wärmetod - scheint der Trend der Epoche. Entsprechend illustre Geister zieht die extropianische Diskussionsgemeinschaft an.

Neben Hans Moravec und Ralph Merkle beteiligt sich auch regelmäßig Marvin Minsky, der "Vater der künstlichen Intelligenz" und gleich doppelter Lehrstuhlinhaber: Professor für Informatik und Elektrotechnik sowie für Medienwissenschaft am Media Lab des MIT. In den fünfziger Jahren konstruierte er die ersten lernfähigen neuronalen Netze und ebenso die erste mechanische Robothand, sein KI-Buch "The Society Of Mind" gilt als Klassiker.

Vom Menschen an sich hält Minsky, die lebende Legende, so wenig wie Moravec: "Als Gattung scheinen wir das oberste Plateau unserer intellektuellen Entwicklung erreicht zu haben. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass wir klüger werden." 1994 fragte er im "Scientific American": "Werden Roboter die Erde erben?" Und bejahte. Seine Mitextropianer schätzt er hingegen - weil sie die evolutionäre Aufgabe der Menschheit zur Selbstüberwindung erkannt haben: "Wir haben nicht mehr viele intellektuelle Salons, wie es sie früher gab. Die Extropianer sind die moderne Variante davon."

Das extropianische Räsonieren will die geschichtsphilosophischen Konsequenzen aus der heraufziehenden technischen Machbarkeit einer selbst gesteuerten physiologischen und morphologischen Umprogrammierung des Homo sapiens ziehen. Aufklärung sei, schrieben Adorno und Horkheimer vor einem halben Jahrhundert, "fortschreitende technische Naturbeherrschung". Von der dem Menschen äußerlichen Natur dehnt sie sich nun rapide auf das aus, was am Menschen selbst Natur ist. Die erste Aufklärung sorgte für das Bewusstsein und intellektuelle Know-how, das die industrielle Revolution ermöglichte; vom Aberglauben zur Dampfmaschine, zur avancierten Werkzeug- und Maschinenfertigung.

Die Extropianer plädieren daher für eine "Neue Aufklärung". Sie müsste das Bewusstsein und intellektuelle Know-how zur Digitalen Revolution produzieren. Im Zentrum steht dabei die Notwendigkeit, die überfällige Verlängerung intelligenten Lebens zu  denken.

"Die Überwindung des Altersprozesses und das Ende des unfreiwilligen Sterbens", sagt Max More, "sind die wichtigsten und lohnendsten Aufgaben unserer Zeit. Der Tod ist nichts Gutes, kein normaler Bestandteil des Lebens. Der Tod ist eine Krankheit, er zerstört uns gerade, wenn wir zu reifen beginnen."

Der Nanologe Eric Drexler ("Engines Of Creation"), Leiter des Foresight Institute, nennt unsere Epoche deshalb eine dunkle Zeit, die man bald für "eine bizarre Fantasy-Welt halten wird, in der Millionen Menschen, deren Körper nicht mehr perfekt funktionieren, deren Gehirne aber wertvolle Informationen und Erkenntnisse bergen, einfach weggeschmissen werden - vergraben oder verbrannt, als wären sie nichts mehr wert."

Erst der evolutionäre Sprung in die Posthumanität könnte dieser Verschwendung intellektueller und kultureller Ressourcen ein Ende machen: durch die Geburt einer neuen, höheren Intelligenz - reine Informationswesen, Infomorphs, die sich in physische Speicher herunterladen lassen, je nach individuellem Bedarf und Umweltbedingungen in digitale oder biologische. Die Vorteile, die ein solcher Entwicklungsschritt von der analogen zur digitalen Intelligenz im galaktischen Existenzkampf böte, liegen auf der Hand; jedenfalls für Extropianer.

Digitales Bewusstsein ließe sich zu Sicherheitszwecken beliebig oft kopieren, sagt Ralph Merkle. Denkprozesse ließen sich durch Erhöhung der Taktfrequenz beschleunigen. Und die Datensätze ließen sich mischen; mit "eigenen", längst vergessenen Erfahrungsdaten - etwa dem Inhalt von Tagebüchern oder Adressverzeichnissen, die kein Mensch "im Kopf" hat -, aber auch mit fremden Datensätzen, Reiseerinnerungen zum Beispiel, die dann so kommerziell angeboten werden könnten wie heute die Pauschalreisen selbst.

Der Übergang von der aktuellen Wetware-Menschheit zu den Infomorphs, meint Max More, werde sich allmählich vollziehen. In zwei oder drei Jahrzehnten wird man in der Lage sein, beschädigte Gehirnteile zu ersetzen. "Von dort ist es nur ein kleiner Schritt, unsere Gedächtnisbanken zu vergrößern und unsere Denkleistungen zu beschleunigen." Stück für Stück werde das Gehirn so durch die Cyborg-Äquivalente von PCs, PDAs, Personal Organizern, Datenuhren, Speichern in Funktelefonen oder Pagern und so weiter entlastet werden.

"Ein Großteil unserer Erinnerungen und unseres Denkens wird sich auf andere Plattformen verlagern. Das Gehirn wird immer unwichtiger werden und am Ende so überflüssig sein wie der Blinddarm heute."

Gundolf S. Freyermuth ist Autor von "Cyberland. Eine Führung durch den High-Tech-Underground".
Er lebt auf einer Ranch in den White Mountains, USA.

Web zur Unsterblichkeit:
www.frc.ri.cmu.edu/~hpm/
www.merkle.com/
www.ai.mit.edu/people/minsky/minsky.html
www.foresight.org/FI/Drexler.html
www.extropy.org/
www.extropic-art.com/contents.htm
© DIE WELT online - 22.04.2000

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Blamage für den Standort
Kommentar von Norbert Lossau
Die Beliebtheit von "Big Brother"-Star Zlatko muss noch kein Gradmesser für den Bildungsstand des deutschen Volkes sein. Zlatko konnte mit dem Namen Shakespeare nichts anfangen und sorgte damit immerhin für Schlagzeilen und hochkarätig besetzte TV-Talkrunden. Das eigentlich Erschreckende an diesem medialen Spektakel der Unbildung ist jedoch: Niemand hätte sich darüber aufgeregt, wenn Zlatko nicht gewusst hätte, wer Newton oder Heisenberg sind. Diese Namen haben ja nicht mal eine Chance, im "Big Brother"-Haus zu fallen.
Der Stellenwert naturwissenschaftlicher Bildung ist in unserer Gesellschaft dramatisch gering. Jeden Party-Smalltalk übersteht man ohne einen Hauch von Physikkenntnissen, und im Gegensatz etwa zur Welt der Literatur und Musik ist es sogar chic, mit naturwissenschaftlichem Unwissen zu kokettieren.
Eine Studie der OECD blamiert nun Deutschland vor der Weltöffentlichkeit - ein Alarmsignal ersten Ranges. Wir sind nicht in der Lage, Ingenieure und Physiker in jener Zahl hervorzubringen, die für ein rohstoffarmes Exportland unter globalem Innovationsdruck schlicht überlebensnotwendig ist.
Die Ursachen für die missliche Lage sind vielfältig. Sie reichen von der fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung herausragender wissenschaftlicher Leistungen bis hin zur Vernachlässigung der naturwissenschaftlichen Fächer in den Schulen.
Den Sonntagsreden, die gerne die große Bedeutung der Wissenschaft für unser Land und unsere Zukunft herausstellen, müssen nun endlich Taten folgen. Weit reichende Reformen sind dabei zuallererst in Kindergärten und Schulen erforderlich. Die Universitäten werden die so erschlossenen Potenziale schon zu nutzen wissen.
  © DIE WELT online - 17.05.2000

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Ein einzelnes Molekül wirkt als elektronischer Schalter
Baustein für winzige Computer der Zukunft
Los Angeles - An oder Aus, Strom fließt oder nicht, 1 oder 0. Auf dieser sehr einfachen Aussage baut heute jeder noch so leistungsfähige Computer auf. Da die heutige Siliziumtechnologie bald an ihre Leistungsgrenzen stoßen wird, untersuchen Forscher die elektronischen Eigenschaften von einzelnen Atomen und Molekülen.
Obwohl der so genannte Quantencomputer, bei dem einzelne Atome über 0 und 1 entscheiden, noch in sehr ferner Zukunft liegt, haben Forscher der University of California in Los Angeles eine viel versprechende Entdeckung gemacht. Wie sie im Fachmagazin "Science" berichten, brachten sie zwar nicht ein einzelnes Atom, sondern ein Molekül dazu, als elektronischer Schalter zu arbeiten. Die von ihnen verwendete und stabile aromatische Verbindung Katenan baut sich aus zwei miteinander verbundenen Ringstrukturen auf. Als die Wissenschaftler eine Spannung von etwa zwei Volt an dieses Molekül anlegten, wurde es oxidiert. Dabei ordneten sich die beiden Ringe in eine neue stabile Position zueinander an. Dieser Zustand wirkt wie ein geschlossener Schalter in einem Stromkreis.
Regelt man die angelegte Spannung wieder gegen null, ändert sich wiederum die Struktur, und der Schalter öffnet sich. Interessant ist dieser Vorgang für molekulare Computer, weil sich der Schaltvorgang beliebig wiederholen lässt. jol
 © DIE WELT online - 18.08.2000

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Die Natur ist das größte Patentamt der Welt

Die Bionik schaut Pflanzen und Tieren technischen Tricks ab — vom Frostschutzmittel bis zur organischen Solarzelle

Berlin - Die alte Vision des Menschen, die Natur auf breiter Front in ihrem unbeschreiblichen Erfindungsreichtum nachzuahmen, ist in greifbare Nähe gerückt. Vielleicht werden wir schon in wenigen Jahren statt unserer Technik die unglaublich genialen Prototypen biologischer Systeme bewundern.
   Die Natur ist das größte Patentamt der Welt. Sie hat pfiffige Lösungen für komplizierteste Probleme entwickelt, über Jahrmillionen Erfindung auf Erfindung getürmt: Superstabile Leichtbaukonstruktionen, sparsamsten Material- und Energieverbrauch, um nur ein paar der grundlegendsten Biostrategien zu nennen. Zu verdanken ist das alles den Entwicklungskriterien des Lebens, der Evolution.
   Es mag zwar manchen Naturfreund erschrecken, aber Technik hat ihren Ursprung in Lebensvorgängen und nur dort. Technik ist deshalb auch keineswegs etwas Unnatürliches. Wer das glaubt, hat die lebende Natur nur nicht genügend beobachtet, weiß vermutlich nicht, was sich beispielsweise im Inneren von Zellen, bei der Energieumwandlung, der Informationsverarbeitung im Reich der Pflanzen und Tiere wirklich abspielt.
   Der im nördlichen Teil Amerikas heimische Waldfrosch Rana sylvatica verfügt über eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit: Wenn im Winter das Thermometer weit unter den Gefrierpunkt fällt und seine Umwelt im Kälteschock erstarrt, versucht erst gar nicht, einen warmen Unterschlupf zu finden — er lässt sich eingefrieren. Sein Blut, die Lymphe sowie sämtliche anderen Körperflüssigkeiten außerhalb der Zellen verwandeln sich zu Eis. Dadurch wird der Frosch bei zehn Grad Celsius unter Null hart wie ein tiefgekühlter Hühnchenschenkel, lebt aber trotzdem weiter. Das Innere der Zellen bleibt trotz der klirrenden Kälte flüssig, weil bestimmte Eiweiße und eine beträchlich hohe Salzkonzentration den Gefrierpunkt herabsetzen.
   Forscher an der Universität in Tel Aviv fanden im Außenskelett der orientalischen Hornisse organische Halbleiterkristalle eingelagert, die wie Solarzellen funktionieren. Denn Solarstrom nutzen die wehrhaften Insekten, sowohl um Wärme zu produzieren als auch um ihren Bewegungsapparat oder ihre Stoffwechselprozesse mit Energie zu versorgen. Besonders interessant ist, dass dieses biologische System elektrische Energie nicht nur erzeugen, sondern auch speichern kann. Der Schluss liegt nahe, dass eines Tages lebende Solarzellen die photovoltaische Technik revolutionieren könnten.
   Das Vorgehen der israelischen Forschergruppe ist ein typisch bionisches Vorgehen. Niemand hat bisher der Hornisse — ähnliches könnte man natürlich auch vom Waldfrosch behaupten — so etwas zugetraut, und es ist vielleicht auch noch gar nicht so sicher, ob die Effekte in allen Details wirklich in der vermuteten Weise ablaufen. Doch zweifellos kann das Studium solcher „biologischen Halbleiter" einen Beitrag dazu liefern, die Solarenergie noch weitaus besser zu nutzen, als es derzeit möglich ist.
   Bionisches Arbeiten und Forschen muss aber nicht immer gleich zu verwertbaren Lösungen führen. Selbst wenn es nur eine „anregende Spielerei" ist, beeinflusst es zumindest viele junge Ingenieure, vermutlich fasziniert es aber auch Schüler und Studenten. Bionik ist deshalb auch spannendes Kreativitätstraining. Denn die Natur bietet ein phantastisches Ideenpotenzial, das man zunächst einmal nur zur Kenntnis nehmen muss. Man kann zwar von den biologischen Systemen keine Blaupausen machen, das wäre ziemlich naiv und letzten Endes nicht als Scharlatanerie — technisch gesehen unweise; ebenso unweise wäre es aber, die unglaubliche Vielzahl der Konstruktionen und technisch-biologischen Verfahrensweisen, die uns alle auf Schritt und Tritt umgeben, nicht zur Kenntnis zu nehmen.
   Jeder kennt heutzutage den Wintergarteneffekt. In der Übergangszeit von Sommer, Herbst und Winter heizt er sich angenehm auf, weil einfallende Sonnenstrahlen ihre Wärme abgeben und diese wegen Doppel- und Dreifachverglasung (und anderen raffinierten Dingen, wie zum Beispiel Stickstofffüllung und Spezialbeschichtungen) nicht mehr so leicht entweichen kann. Im Sommer allerdings wird es ohne Beschattung unerträglich heiß, und man muss Zwangslüftungen vorsehen.
   Der Berliner Bioniker Professor Helmut Tributsch hat beschrieben, wohin ihn das Nachdenken über Wintergärten geführt hat. „Da Schnecken typischerweise Häuser mit sich tragen, dachte ich mir, dass es einen Unterschied machen müsste, ob eine Schnecke im milden Tiefland oder im kalten Hochgebirge lebt. Ich konzentrierte mich auf die Hochgebirgsfauna und versuchte herauszufinden, wie die Häuser der Schnecken beschaffen sind, die im Reich der Gletscher leben."
   Überraschenderweise fand sich, dass die Schnecken in den Gletscherregionen, also etwa auf 3000 Meter Höhe, „Glashäuser besitzen". Man spricht deshalb auch von Glasschnecken. In ihrem Glashaus sammelt sich die Wärme wie in unseren Wintergärten. Man könnte durchaus von einer Wärmefalle sprechen. Damit können diese Schnecken noch aktiv sein, wenn es anderen Verwandten, die nicht durchscheinende Häuser besitzen, schon zu kalt ist.
   Ob die Schneckenschalen mit ihrem komplizierten Aufbau aus Kalkristallen und organischer Substanz wärmetechnische Eigenschaften besitzen wie die Spezialverglasung unserer Wintergärten, ist noch offen. Es würde sich aber sicher rentieren, diese Frage genauer zu untersuchen.
   Wie aber macht die Natur das alles? Tiere, Pflanzen und auch wir Menschen sind die kompliziertesten, mit größter Perfektion konstruierten und effektivsten Maschinen des bekannten Universums. So gesehen wäre es wünschenswert, dass etwa ein Ingenieurstudent in seiner Ausbildung auch einige Grundlagen der Biologie mitbekäme. Und wie können Biologen und Techniker künftig an einem Strang ziehen? Bis vor kurzem war auf beiden Seiten Skepsis angesagt. Welcher Techniker oder Wissenschaftler gibt schon gerne zu, dass das freie
Spiel des Zufalls, wie also die Natur seit Urzeiten funktioniert, seiner Intelligenz überlegen ist. Doch inzwischen haben viele eingesehen: Die filigranen Höchsttechnologien der Natur muss man nur richtig verstehen.
   Da hat die Belegschaft eines US-Flugzeugkonzerns noch einigen Nachholbedarf. In der Eingangshalle dieses Unternehmens hängt in großen Lettern ein viel beachteter Leitspruch: „Berechnungen unserer Ingenieure haben ergeben, dass die Hummel nicht fliegen kann." Da die Hummeln das nicht wissen, fliegen sie trotzdem.

Von Kurt G. Blüchel
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Erscheinungsdatum: 25. 11. 2000
URL: http://www.welt.de/daten/2000/11/25/1125ws204909.htx
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Akt: 25.11.2000
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